Das Schalker Millionen-Roulette
FUSSBALL / Anleihe fast aufgebraucht. Arena-Einnahmen unter den Erwartungen. Nur die Champions League kann helfen.
GELSENKIRCHEN. Die Fassade des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 ist auf Hochglanz poliert. Der königsblaue Teppich in der Chefetage der neuen Geschäftsstelle macht Eindruck, draußen funkelt die Arena in der Sonne, heute kommt zum ausverkauften ersten Saisonspiel der alte Rivale Borussia Dortmund, Trainer Jupp Heynckes gilt als neuer Star des Klubs, und bei der Vorstellung des jüngsten Geschäftsberichtes verkündeten die Schalker vor Wochen für 2002 einen Jahres-Überschuss von 4,7 Millionen Euro.
Das klingt nach einer einzigen Erfolgsgeschichte.
Doch wie passen dazu rund 200 Millionen Euro Schulden?
Wie passt dazu, dass von den 75 Millionen, die erst vor wenigen Monaten aus einer Anleihe an den Klub flossen, gerade noch zwölf Millionen zur Verfügung stehen?
Wie passt dazu, dass der Verein keine neuen "Kracher" verpflichtet hat? Kein Geld?
Zahlen und Fragen, die eine Analyse fordern.
Die Anleihe
Die Schalker haben in diesem Frühjahr aus einer Anleihe von einem US-Anleger-Konsortium 75 Millionen Euro erhalten. Nötig war dieser für den deutschen Fußball neue Weg zur Geldbeschaffung, weil die Banken keine Kredite mehr genehmigten. In Bankenkreisen munkelte man über "große Schwierigkeiten" der Schalker.
Der neue Weg muss deshalb jedoch nicht sofort ein schlechter Weg sein. Eingeschlagen hat den Weg zur Anleihe Josef Schnusenberg, als stellvertretender Vorsitzender für die Finanzen des Klubs zuständig. Der 62-jährige Steuerberater spricht wohltuend unaufgeregt über die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Aber wer die Zahlen hört, muss stutzen. Von den 75 Millionen der Anleihe hat der Verein laut Schnusenberg heute nur noch zwölf Millionen zur Verfügung, die "fest angelegt sind."
Der Rest? Rund vier Millionen verschwanden in Provisionen, Gebühren und Anwaltskosten. Dann zahlte der Klub seine 36 Millionen Schulden bei Banken zurück und beglich Verbindlichkeiten aus früheren Transfers. Zudem gab es "ein kleineres, völlig normales Liquiditätsloch" (Schnusenberg) zu stopfen.
Die Philosophie
Die eher bescheiden wirkende Summe von zwölf Millionen ist der Hintergrund dafür, warum die Schalker innerhalb von Monaten ihre Philosophie ändern mussten. Im März versprach Manager Rudi Assauer in einem NRZ-Interview noch die "Schaffung einer einmaligen Infrastruktur in Deutschland" mit einer neuen Nutzung des Parkstadions, einer Reha-Klinik und einem Hotel.
Für diese Pläne fehlt mittlerweile das Geld. "Unsere Investition in Steine ist abgeschlossen", sagt Schnusenberg heute. Die Reha-Klinik soll ein Inves-tor bauen, vom Hotel ist keine Rede mehr. Im Geschäftsbericht heißt diese Kursänderung "mittelfristig andere Prioritäten setzen." Apocalypse Bau?
Die Rückzahlung
Pro Jahr zahlen die Schalker für die Anleihe sechs Millionen Euro an Zinsen aus Zuschauer-Einnahmen zurück. Das System funktioniert so: Sämtliche Ticket-Einnahmen werden auf ein Sonderkonto gebucht. Sind drei Millionen Euro erreicht, wird die erste halbjährliche Rate überwiesen. In der zweiten Jahreshälfte wiederholt sich dieses Verfahren.
Zu den Zinsen kommt ab 2005 eine Tilgung von 750 000 Euro. Da die Rückzahlung über 23 Jahre läuft, zahlt Schalke bei einer Verzinsung von acht Prozent für 75 Millionen insgesamt 153 Millionen zurück.
Frisches Geld
Schalke kann die bisherige Anleihe um 25 Millionen auf 100 Millionen erhöhen. Über zehn Millionen davon wird zur Zeit verhandelt. "Aber das ist nicht dringend", so Schnusenberg.
Andere Einnahmen
Aus dem Bereich des Sponsorings flossen im vergangenen Jahr 27,7 Millionen auf das Schalker Konto. Diese Summe lässt sich kaum steigern. "Mit unseren Hauptsponsoren haben wir langfristige Verträge", sagt Schnusenberg. "Bei den Kleinsponsoren haben wir zwar eine Warteliste, aber unsere Kapazität ist ausgereizt."
36,9 Millionen kassierten die Schalker im vergangenen Jahr an Fernsehgeldern. Diese größte Einnahmequelle wird nach der Kirch-Krise schrumpfen, jeder Bundesligist erhält in dieser Saison 7,5 Millionen weniger. Schnusenberg glaubt aber, dass sich der Markt "in den kommenden Jahren erholen wird". Mit Fakten zu untermauern ist diese These nicht.
Der Konzern Schalke
Der Verein FC Schalke 04 ist an fünf Tochtergesellschaften beteiligt: Die Fußball-Museum GmbH (Beteiligung 100 Prozent), die Cateringgesellschaft (100 Prozent), Ticket und Secure GmbH (100 Prozent), Stadion-Betriebsgesellschaft (100 Prozent) und Stadion-Beteiligungsgesellschaft (35,7 Prozent). Ein übliches Wirtschaftsinstrumentarium, um das Risiko eines Konzerns zu streuen und die Führungsstruktur zu optimieren.
Wirklich wichtig sind nur die Betriebsgesellschaft und die Beteiligungsgesellschaft.
Die Arena
Um die Arena mit einem Bauvolumen von 190 Millionen Euro zu bauen, haben die Schalker die Beteiligungsgesellschaft gegründet. Über seine Beteiligung daran gehört dem Verein allerdings nur gut ein Drittel (35,7 Prozent) der Arena. Die übrigen zwei Drittel sind in der Hand von 15 Kommanditisten, die zwischen zwölf Millionen und 200 000 Euro investiert haben. Zu ihnen gehören etwa der Rechte-Vermarkter ISPR, Bau-Unternehmer Walter Hellmich und Rudi Assauer als Privatperson.
Die Beteiligungsgesellschaft hat die Arena an die Betriebsgesellschaft verpachtet, die für Veranstaltungen außerhalb des Fußballs zuständig ist. Dieser Zweig läuft nicht wie erhofft, der Geschäftsbericht spricht von einem "operativen Minus", das nicht spezifiziert wird.
Auch Schnusenberg nennt keine Zahlen. Er denkt aber bereits "über eine neue Struktur" dieses Bereiches nach und liefert Erklärungen: In der ersten Phase der Arena-Vermarktung habe es Anlaufprobleme gegeben. Dann seien durch den Terror-Anschlag in New York am 11. September keine US-Künstler in Europa auf Konzert-Tournee gegangen. Im laufenden Jahr könne man mit etwas Glück "eine schwarze Null schreiben."
Nach den Konzerten dieses Sommers von Herbert Grönemeyer, Bon Jovi, Bruce Springsteen und Robbie Williams hängt dieses Glück nicht zuletzt am Erfolg der für September geplanten Oper "Carmen". Doch noch, so Schnusenberg, laufe der Vorverkauf eher schleppend.
Der Football-Vertrag
Mit dem Football-Team von Rhein Fire haben die Schalker eine neue Sportart in die Arena geholt. Um die fünf Spiele zu erhalten und das Kölner Stadion als Mitbewerber für die Heimspiele auszustechen, haben sie Rhein Fire einen Zuschauerschnitt von 35 000 garantiert. Da der Schnitt aber nur bei 30 000 lag, musste Schalke pro Partie das Geld für 5000 Tickets draufzahlen. Dies ergebe dennoch kein Minus, versichert Schnusenberg. Denn das Catering habe die Kosten gedeckt. Allerdings: "Richtig ist, dass wir das Ergebnis im nächsten Jahr verbessern müssen."
Die Gesamtsituation
Der Verein FC Schalke hat 2002 einen Überschuss von 4,7 Millionen ausgewiesen. Dies ist aber kein eingenommes Geld, sondern eine buchungstechnische Summe. Sie resultiert aus einer Änderung, die das Finanzamt bei der Abschreibung von Spielerwerten vornahm. Aus der "gewöhnlichen Geschäftstätigkeit" - also der Aufrechnung von Einnahmen und Ausgaben im Fußballbetrieb - hat der Verein 2002 dagegen ein Minus von drei Millionen erwirtschaftet. Im Zusammenspiel mit der "gewöhnlichen Geschäftstätigkeit" des "Konzerns Schalke" beläuft sich dieses Minus laut Geschäftsbericht auf zehn Millionen.
Der Schuldenstand des Konzerns - also des Vereins FC Schalke samt seiner fünf Tochtergesellschaften - liegt bei rund 200 Millionen. Darin enthalten sind die Baukosten für die Arena und die Anleihe von 75 Millionen. Zurückzahlen müssen die Schalker für diese Verbindlichkeiten pro Jahr elf Millionen an Zinsen und Tilgung für die Arena-Kredite sowie sechs Millionen Zinsen und 750 000 Euro Tilgung für die Anleihe. Macht zusammen: Rund 18 Millionen.
Die Sparmaßnahmen
Wesentliche Kürzungen kann es nur bei den Spielergehältern geben, für die Schalke im vergangenen Jahr 43,5 Millionen aufgewendet hat. Doch die meisten Veträge laufen langfristig, aktuellen Kürzungs-Spielraum gibt es nur bei den Prämien.
Jede Menge Geld für den Einkauf neuer Stars ist vor diesem Hintergrund nicht in Sicht. Richtig weiterhelfen würde den Schalkern nur die Teilnahme an der Champions League.
Die Perspektive
Schnusenberg sagt: "Unsere Zahlen sind in Ordnung. Der Cash flow (Anm. d. Red.: Die Innenfinanzierung eines Unternehmens) stimmt. Niemand muss sich um Schalke sorgen."
Pessimisten halten dagegen: Die Kalkulation mit der Champions League birgt enorme Risiken, denn bisher hat es Schalke gerade ein einziges Mal in die Königsklasse des europäischen Fußballs geschafft. Sollte dies in absehbarer Zukunft nicht wieder gelingen, dürfte die auf Hochglanz polierte Fassade des FC Schalke 04 bald matter werden. (NRZ)
01.08.2003 RALF BIRKHAN
http://www.nrz.de