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Irak-Krieg
Armee der Schatten
Von Ralf Hoppe
Versteckt im ganzen Land, organisiert in Zellen, ausgerüstet nur mit Gewehren und Granaten will Saddams Guerilla die Besatzer vertreiben. 101 US-Soldaten sind seit Kriegsende schon getötet worden - und die Angst der Amerikaner vor dem unsichtbaren Feind wächst.
Die zwei Männer stehen in der Küche. Der jüngere kocht Tee, der ältere wäscht Datteln; die beiden besprechen, wen sie als Nächstes töten werden.
Der jüngere der zwei Männer ist groß und sehnig, er hat lockiges schwarzes Haar, ein glattes Gesicht, keinen Schnurrbart. Sein Name ist Mohammed al-Schein: 28 Jahre alt, geboren in Bagdad, er hat ein Ingenieurstudium begonnen und abgebrochen, danach eine Zeit lang als Lackierer und Anstreicher gearbeitet. Er spricht laut und hastig, seine Stimme klingt heiser.
„Glaub mir", sagt Mohammed zu dem Älteren, "wir sollten endlich handeln." Er trägt eine schwarze Anzughose, ein hellgrünes Hemd, einen schmalen Gürtel mit nachgemachter Pierre-Cardin-Schnalle.
"Wir sollten diesem Chain, diesem Verräter, die Zunge herausschneiden."
Der ältere der beiden Männer heißt Bassam Nadschafi. Er ist klein und muskulös wie ein Ringkämpfer, 45 Jahre alt, gebürtig aus Falludscha. Er trägt schwarze Jeans mit aufgenähten Seitentaschen und schwere Cowboystiefel. Die Datteln reibt er an seinem Sporthemd trocken, wortlos.
"Glaub mir, Bassam", sagt Mohammed, "die Zunge abzuschneiden, das ist eine gute Warnung. Und es ist einfach, wir haben neulich in Fidschir einen Spitzel so bestraft. Du brauchst drei Leute, zwei halten den Mann fest, du ziehst seine Zunge mit einer Zange heraus und dann ..." Er macht eine rasche Handbewegung.
"Und dieser Mann aus deiner Nachbarschaft, der uns also verraten will - wie viel Geld werden die Amerikaner ihm dafür geben?" Bassams Stimme ist sanft, er hat graues Haar, millimeterkurz.
Mohammed schüttelt den Kopf. "Ich weiß es nicht, angeblich 350 Dollar für jeden Widerständler."
Bassam schaut auf den Teller mit den Datteln. Daneben, auf dem weißen Plastiktisch, liegen zwei Kalaschnikows. "Wenn du meine Meinung wissen willst", sagt er leise, "eine Kugel in den Kopf, eine Kugel ins Herz."
Mohammed nickt. "Einverstanden, aber wir sollten noch den Major fragen."
"Wir fragen den Major", sagt Bassam.
Das Haus, in dem Mohammed und Bassam ihren Plan besprechen, liegt in einer Seitenstraße im Stadtteil Adhamija, nicht weit von der Abu-Hanifa-Moschee. Es ist ein Haus wie viele in Bagdad: ein staubiggelber Kasten, hohe Mauern, ein schwarzes, zackenbewehrtes Blechtor. Dahinter ein kleiner Vorgarten mit einem struppigen Limonenbaum. Unten drei Zimmer, oben zwei. In der Küchenabseite liegen ein kaputtes Kinderfahrrad, ein Sack Reis.
Wem dieses Haus gehört, wer hier lebt oder je gewohnt hat, wie oft Bassam und Mohammed dieses Haus nutzen und wie lange schon - auf solche Fragen geben die beiden keine Antworten. Dieses Haus in Adhamija, mit der Hausnummer 54, in einer Straße ohne Namen, ist einer der vielen Treffpunkte, Waffenlager und Verstecke des irakischen Widerstandes.
"Der Major sagt, wir sollen kämpfen wie Schatten", sagt Mohammed.
Es ist kurz vor halb zwei. Die Oktober-Sonne scheint durchs Küchenfenster, mittags wird es immer noch heiß in Bagdad, an die 30 Grad.
Fünf Monate zuvor, am 1. Mai 2003, an einem ebenfalls sonnigen Spätnachmittag, landete an Bord des Flugzeugträgers USS "Abraham Lincoln" eine Maschine vom Typ S-3B Viking. Ihr entstieg der oberste Feldherr der Vereinigten Staaten: Im Fliegerdress beschritt George W. Bush das Deck. Und nachdem er die Uniform gegen einen schwarzen Anzug getauscht hatte, hielt er eine Rede, in der er das Ende der Hauptkampfhandlungen im Irak verkündete. Diese Rede dauerte etwa 25 Minuten, und sie hatte nur einen Fehler: Der neue Krieg hatte bereits begonnen.
Der Irak-Feldzug, den Bush vor der Küste Kaliforniens für beendet erklärte, war ein Blitzkrieg. Dieser zweite Krieg, der heimliche, könnte ewig dauern.
Und er liefert, seit sechs Monaten, den Amerikanern keine Siegesmeldungen, nur immer neue Katastrophen. Autobomben gehen hoch, wie vor dem Canal-Hotel im Nordosten Bagdads, wo 15 Menschen starben, unter ihnen der Uno-Beauftragte Sergio Vieira de Mello. Die amerikanischen Konvois fahren in Minenfallen, wie in Falludscha. Die Widerständler beschießen das Hauptquartier der Dänen, wie in der südirakischen Stadt Qurna. Sie sprengen Pipelines, wie im Norden bei Kirkuk. Und sie versuchen beinahe jeden Tag, die Maschinen der Royal Jordanian Airlines abzuschießen, die zwischen Amman und Bagdad einen regelmäßigen Flugverkehr etablieren wollen.
Seit Bushs Rede auf der "Abraham Lincoln" sind mehr als hundert US-Soldaten im Irak getötet worden; im Schnitt sind das beinahe jede Woche vier tote Amerikaner und noch mehr Verletzte. Die toten Iraker, Widerständler und Zivilisten, zählt niemand.
Für die US-Soldaten ist dies kein Abenteuer mehr, kein Horrido-Trip durch die Wüste, zum Swimmingpool im Palast des irren Diktators. In den Wochen, kurz nach dem Krieg, verteilten die GIs noch überall Süßigkeiten an Kinder und Jugendliche, sie winkten aus ihren Panzerluken, Wachposten schüttelten Hände, die Amerikaner gaben sich Mühe. Jetzt entsichern die verhassten Befreier ihre Waffen, sobald ihnen ein Iraker zu nahe kommt - er könnte eine Handgranate haben.
"Dabei haben wir erst begonnen", sagt Mohammed.
"Umso besser", sagt Bassam, "wenn die Amerikaner uns fürchten."
Bassam und Mohammed sind beide verheiratet, sie leben in Mietwohnungen, haben Kinder. Mohammeds Söhne gehen in die erste und dritte Klasse. Bassams älteste Tochter soll demnächst heiraten, wahrscheinlich wird er bald Großvater, er freut sich darauf. Die zwei Männer könnten auch Busfahrer sein, Obsthändler, Lehrer oder Bauarbeiter. Aber sie haben Präsident Bush den Krieg erklärt: Solange Amerikaner in ihrem Land sind, werden sie sie angreifen. Weder ihre Kinder noch ihre Ehefrauen, weder Mohammeds Eltern noch Bassams Brüder, denen er sonst alles anvertraut, haben einen Schimmer von diesem zweiten Leben.
Überall im Land haben die Widerständler Waffen gehortet. In unscheinbaren Wohnungen, hinter Wandverschalungen, lagern Minen und Panzerfäuste. Unter Petersilienbeeten, eingepackt in mehrere Schichten Plastikfolie, liegen Kalaschnikows und Munitionskisten. Handgranaten kann man auf dem Markt kaufen, sie kosten zwei Dollar, bei großen Stückzahlen gibt es Rabatt.
"Wir sind keine Selbstmörder, denn wir wollen noch lange gegen die Amerikaner kämpfen", sagt Mohammed, "doch wenn es sein müsste, würden unsere Familien es verstehen." Er steht auf, um neuen Tee zu kochen. Die Küche ist ein karger Raum: eine hölzerne Anrichte, ein Kunststofftisch, Plastikstühle. Auf dem verkratzten Steinfußboden stehen Petroleumlampen.
Draußen klopft jemand ans Tor.
Bassam ist sofort am Küchenfenster. Mohammed schlüpft aus seinen Schuhen, greift seine Kalaschnikow, er lässt das Magazin einrasten, seine Bewegungen sind routiniert, er huscht aus der Küche, die Treppe hoch zum Dach, geschmeidig, wortlos. Eine Minute vergeht, zwei Minuten. Dann kommt er wieder, seine Socken sind staubig: "Nur Kinder", sagt er, "wir können weiterreden."
"Ich empfand Stolz in meinem Herzen. Ich blickte hoch zu den Hubschraubern und dachte: Nie werden sie mich finden."
Der zweite, der heimliche Krieg begann am 29. April, zwei Tage vor Bushs Rede. Er begann in Bassams Geburtsort Falludscha, eine halbe Autostunde westlich von Bagdad, und Bassam war dabei. Die Amerikaner hatten eine Schule als Quartier konfisziert. Die Männer von Falludscha waren wütend: Es passte ihnen nicht, dass so viele unverheiratete Soldaten hier wohnen sollten, in Nachbarschaft zu ihren Frauen. Demonstranten zogen vor die Schule, erst einige hundert, schließlich an die tausend Menschen, viele Jugendliche und Kinder. Es ging alles ein bisschen durcheinander, manche skandierten Saddam-Parolen, die meisten forderten nur den Abzug der Soldaten. Zuerst war alles noch ein Spektakel. Doch irgendwann fiel ein Schuss.
Wer zuerst schoss und in welcher Absicht, wurde nie geklärt, auch Bassam weiß es nicht. Möglich, dass ein US-Soldat nervös wurde, wahrscheinlich nur einen Warnschuss abgeben wollte, möglich auch, dass Saddam-Anhänger die Amerikaner provozieren wollten. Die Iraker jedenfalls warfen Steine, die Soldaten feuerten in die Menge, sie erschossen 18 Menschen, auch Frauen und Kinder.
Inzwischen ist Falludscha eines der Zentren des Widerstandes. Am Ortseingang verkünden Graffiti: "Erhebe dein Haupt, denn du bist nun in Falludscha!"
"Die ersten Wochen nach dem Krieg waren wir gelähmt, gedemütigt", sagt Bassam. "Hätten wir den Vorfall von Falludscha auch noch hingenommen - dann hätten wir jeden Glauben an uns verloren."
Jeder gelungene Anschlag, sagt Mohammed, stärkt das Selbstbewusstsein. Jeder Anschlag ist eine Warnung an die Iraker, sich nicht mit den Amerikanern zu verbrüdern, jeder Tote ein Beweis: "Ein Beweis, dass die Partei immer noch kämpft", sagt Bassam.
Der Major sagt, sie sollen kämpfen wie Schatten.
Bassam Nadschafi und Mohammed al-Schein sind Geschöpfe der Baath-Partei, Zöglinge des Saddam-Regimes, "wir sind wie seine Söhne", sagt Mohammed. Und die Folter, die Tyrannei, der grassierende Sadismus? "Die Iraker brauchen Führung", sagt Bassam, "und Saddam war ein starker Führer." Sie erzählen, dass unter Saddam alles besser war, weil Ordnung herrschte, weil ihre Ehre gewahrt blieb, weil ihre Frauen sicher waren. Sie meinen: Wir wussten wenigstens, wer wir sind.
Bassam Nadschafi trat Anfang der Siebziger in die Partei ein, mit 14; Mohammed al-Schein mit 17. Beide aus Überzeugung, sagen sie. Karriere machten sie nicht, sie gehörten immer zu den unteren Kadern, aber die Partei versorgte sie mit Geld, genug für einen bescheidenen Wohlstand, und sie verlangte dafür Gehorsam.
Mohammed und Bassam lasen die panarabischen Schriften von Michel Aflak, dem Baath-Gründer, sie gingen zu Versammlungen, zum Waffentraining, zum Sport. Ab und an wurde ein Arbeitseinsatz befohlen, Mohammed musste gelegentlich als Anstreicher arbeiten, Bassam bei der Stadtreinigung oder als Wachmann. Dazwischen lange Phasen geregelten Nichtstuns. Sie vermissten nichts, sie waren Funktionäre, die treue Reserve der Partei, sie hielten sich bereit. Das genügte. Es war ihr Lebenssinn.
Dieses System funktioniert immer noch - nur eben heimlich.
Der Widerstand, erzählt Mohammed, ist in kleinen Zellen organisiert. Jede Zelle besteht aus drei bis zehn Mann und besitzt eigene Waffenlager, plant ihre eigenen Anschläge. "Mindestens drei Zellen", sagt er, "sind eine Gruppe, drei Gruppen bilden einen Zweig, eine Schuba, und mindestens drei Zweige formieren sich zu einem Ast, Far genannt." Man telefoniert auch nicht miteinander. Man trifft sich in Häusern, Wohnungen, an Straßenecken. Und wenn sie mal telefonieren müssen, benutzen Bassam und Mohammed gewundene Umschreibungen, ein "Anschlag" ist dann ein "schönes Geburtstagsgeschenk". Beide sprechen irakisches Arabisch, mit Ausdrücken, die schon ein Palästinenser oder Ägypter kaum versteht. Erst recht nicht amerikanische Abhörexperten von der CIA, die vielleicht zwei Grundkurse Arabisch absolviert haben. Die kapieren gar nichts.
Ihre nächsten Führungskader, zum Beispiel den Mann, den sie Major nennen, können Bassam und Mohammed von sich aus nicht kontaktieren. Sie haben keine Ahnung, wo er lebt, wahrscheinlich kennen sie nicht mal seinen Namen. Sie müssen abwarten, bis der Major sich mit ihnen in Verbindung setzt und ihnen einen "Vorschlag" macht. In Wahrheit ist der Vorschlag ein Auftrag.
So war es bei der Operation in Dora, erzählt Bassam. Er hat den Anschlag allein ausgeführt, behauptet er, Mitte September.
Und, ja, die Operation war erfolgreich.
"Vier", sagt Bassam, "vier tote Amerikaner."
"Vier", sagt Mohammed, "mit Gottes Hilfe."
Im Stadtteil Dora, im Süden von Bagdad, gibt es eine Schnellstraße, die Schaara Mohammed Dora, die in Ost-West-Richtung verläuft und das Wohngebiet mit der Stadtautobahn verbindet. Der Major hatte Bassam gesagt, dass hier häufig Humvee-Konvois führen. Bassam machte einen langen Spaziergang nach Dora. Er sah, dass längs der Schnellstraße, getrennt durch einen Graben, ein großer, halb wilder Palmengarten liegt, und er fasste seinen Plan: Er verkleidete sich als Bauer.
Morgens um sechs Uhr lag Bassam Nadschafi, im grünen, knöchellangen Gewand, auf dem Bauch hinter einer Palme. Neben sich eine Schaufel, zur Tarnung, unter einem Lappen eine Panzerfaust, außerdem eine kurzläufige Kalaschnikow mit drei Magazinen à 30 Schuss.
Kurz vor zehn kam der Konvoi.
"Das ist der Moment, in dem du ein starkes Herz brauchst. Viele von unseren Kämpfern hatten diesen Mut nicht."
Der Geländewagen explodierte augenblicklich, eine riesige Stichflamme stieg auf, schwarzer Rauch, Splitter flogen, Bassam presste sein Gesicht in die sandige Erde - und dann sprang er auf und rannte los. Er rannte Richtung Norden, zwischen den Palmen hindurch, quer durchs Gestrüpp, rannte in seinen schweren Cowboystiefeln und triumphierte. "Irgendwann kamen Hubschrauber, und sobald sie näher kamen, duckte ich mich unter einem Busch oder Baum."
Und wie fühlte er sich dabei?
"Ich empfand Stolz in meinem Herzen, war voller Leben. Ich hatte etwas Wichtiges vollbracht - ich blickte hoch zu den Hubschraubern und dachte: Nie werden sie mich finden, dies ist mein Land, meine Erde, und sie sind Fremde und blind dazu."
Der Major sagt, sie sollen kämpfen wie Schatten.
Während des Krieges waren Bassam und Mohammed als Fedajin im Einsatz, in einer Art Nebenarmee des Diktators. Sie trugen schwarze Uniformen ohne Rangabzeichen, sie kämpften in kleinen Verbänden. Bassam war anfangs in Basra stationiert, später in Tikrit. Mohammed in Bagdad, zuletzt am Flughafen. Gegen die Hightech-Waffen, gegen den Tod von oben, hatten sie keine Chance.
Am vorletzten Tag des Krieges war Mohammed noch am Flughafen. Seine Einheit hatte sich zurückgezogen. Er hatte während des Krieges keinen einzigen Schuss abgegeben. Er schleppte seine Panzerfaust mit sich herum und wusste nicht, was er tun sollte.
Doch dann tauchte ein einzelner Abrams-Panzer auf.
"Als Mann gegen einen Panzer zu kämpfen ist schwer", sagt Mohammed, "du musst zum Schuss kommen, dich an ihn heranarbeiten, doch je näher du kommst, desto größer wirkt er - wie ein böses Tier, ein Ungeheuer." Er zögert. "Das ist der Moment, in dem du ein starkes Herz brauchst. Viele von unseren Kämpfern hatten diesen Mut nicht, man darf es ihnen nicht vorwerfen."
Mohammed steht auf. Er verschwindet in der Toilette, um sich zu waschen, dann holt er einen kleinen Teppich und rollt ihn in einem Winkel im Wohnzimmer aus. Bassam bleibt am Küchentisch sitzen. Man hört Mohammed beten, halblaut.
Mohammed ist frommer Sunnit, Bassam Schiit, aber ihr Glaube ist nach der Baath-Ideologie ihre Privatsache. Und die angeblichen Qaida-Kämpfer und die anderen Glaubenskrieger?
"Wir haben mit ihnen nichts zu schaffen", sagt Bassam. "Einige tausend werden im Land sein, aber sie können nicht viel ausrichten."
Warum?
"Es fehlt ihnen an Logistik, an Rückhalt. Wie sollen sie sich verstecken? Jeder Iraker erkennt an ihrem Akzent sofort, dass sie aus Saudi-Arabien oder Kairo kommen - sie sind wie Touristen." Er zuckt die Achseln. "Saddam wird sie rausschmeißen, sobald er an der Macht ist."
Mohammed hat gebetet, er und Bassam lassen sich fotografieren, allerdings maskiert. Bassam schiebt zwei weiße Plastikstühle vor eine Wand. Mohammed holt aus einem Regal einen Pappordner und zieht ein Saddam-Bild hervor, DIN A4. Er trägt es wie eine Reliquie zur Wand, um es anzukleben, genau in die Mitte und schön gerade. Die beiden setzen sich darunter.
Saddam Hussein ist da und nicht da, allgegenwärtig wie ein Gespenst, der Oberste der Schatten.
Die Männer verstecken die Gewehre, Bassam spült die Teegläser, wir verlassen das Haus durch den Hinterausgang, ein Wagen wartet an der Ecke. Es ist ein alter, gelber VW-Passat. Der Fahrer fährt uns ohne ein Wort zur Hauptstraße von Adhamija. Der Major erwartet uns.
"Mit al-Qaida haben wir nichts zu schaffen. Einige tausend werden im Land sein. Sie sind wie Touristen."
Der Wagen hält vor einer Art Elektrowerkstatt. Ein einzelner, schmaler Raum, ebenerdig, klein, unaufgeräumt. In der Mitte des Raumes steht ein Mann, Mitte fünfzig, schmales Gesicht, Schnurrbart, graue Tuchhose, graues Hemd, blanke Halbschuhe.
"Wir haben fünf Minuten", sagt er.
Im hinteren Teil der Werkstatt steht ein großer kistenartiger Tisch, darauf Schraubenpakete, Farbdosen, Autoscheinwerfer, noch verpackt. Rollen mit Klebeband, Atemmasken gegen Lackdämpfe. Der Major beginnt den Tisch abzuräumen, Mohammed und Bassam helfen, dann klappt der Major den Tisch hoch: In der tiefen Ablage darunter liegen, schimmernd, vier, fünf Panzerfäuste, zwei Stofftaschen voll mit Handgranaten, geriffelt und grau glänzend, etliche Kalaschnikows. "Das ist eines von zahllosen Waffenlagern", sagt der Major. Und schließt die Klappe.
"In unseren Händen befinden sich etwa sieben Millionen Kalaschnikows, knapp zwei Millionen Handgranaten und 80 000 bis 100 000 Panzerfäuste. Wir haben außerdem Minen, aber leider nicht genügend Zünder."
Der Major steckt sich eine Zigarette an. "Wir haben außerdem ein Geldproblem", sagt er, "wir müssen unsere Leute mit Geld versorgen, sie finden keine Arbeit, aber sie haben Familien, sie müssen Brot auf den Tisch bringen." Er schaut zu Bassam und Mohammed, lächelt kurz, beide nicken.
"Doch wir können uns auf die Tapferkeit unserer Kämpfer verlassen, und wir werden jeden angreifen, der an der Seite der Amerikaner oder mit ihrer Duldung in den Irak kommt, auch Deutsche, denen wir sonst mit Sympathie gegenüberstehen."
Wie viele Männer sind im Widerstand organisiert?
"Genügend."
Mehr als 50 000?
"Ja."
Mehr als 100 000?
"Ja."
Mehr als 200 000?
"Es sind genügend", der Major ist jetzt etwas gereizt, "wir haben starken Zulauf, annähernd die Hälfte aller Iraker steht auf unserer Seite."
Der Mann zieht ein mehrmals gefaltetes Papier aus seiner Brusttasche, setzt eine schmale Goldrandbrille auf und verliest einen Brief, den Saddam Hussein geschrieben haben soll: Das Feuer des Widerstandes wird den Feind verzehren, der Sieg ist unaufhaltsam, die Amerikaner haben das Tor zur Hölle geöffnet. Das Neonlicht flackert, Bassam und Mohammed stehen gerade wie bei einem Appell, der Major faltet den Brief wieder zusammen. Er steckt die Brille ein und geht.
Es ist acht Uhr, draußen ist die Sonne längst untergegangen. Polizisten regeln den Verkehr in ihren neuen blauen Uniformen, Restaurants haben geöffnet, Eisdielen, Hemdenläden, manche Straßen sind sogar beleuchtet: Bagdad wirkt beinahe wie eine normale Stadt.
"Es ist", sagt Bassam, "unsere Stadt."
gruß, mick