FAZ vom 06.09.2002
Die Löwen gefallen sich als bissiger Außenseiter
Beim Auftaktspiel in Nürnberg kann das Team von Trainer Lance Nethery ohne Druck aufspielen
Paul Stanton spielt seit 1985 unter Profibedingungen Eishockey. Zum Ende seiner Karriere hat der 35 Jahre alte Abwehrrecke bei den Lions angeheuert, nachdem ihm bei den Nürnberg Ice Tigers, an diesem Freitag erster Herausforderer der Frankfurter, gesagt wurde, er sei zu alt und schwach, um auf hohem Niveau in der besten deutschen Liga mithalten zu können. So gesehen, ist der heutige Auftritt für den Kanadier eine ganz persönliche Herausforderung. Stanton will es noch mal wissen und möchte die Spötter Lügen strafen. "Wir wissen schon, daß wir kein Team sind, das um den Titel mitspielen wird", sagt der Haudegen zu den Chancen der unter Lance Nethery, dem früheren Mannheimer Meistertrainer, neuformierten Mannschaft. "Aber", und auf diesen Nachsatz legt er Wert, "wir werden für Furore sorgen." Dafür hat er sich, sagt sein Chef, so intensiv wie kaum ein zweiter gedrillt. Man wird sehen.
Die Saisonvorbereitung mit nicht einem Erfolg gegen einen unmittelbaren Konkurrenten aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) kann zwar nicht unbedingt als Indiz für Stantons Prognose herangezogen werden, doch nicht nur ihm ist klar, daß die vielen Testspielniederlagen spätestens von 19.30 Uhr an und dem ersten Bully gegen die Ice Tigers uninteressant geworden sind. "Wir sind noch nicht fertig", sagt Nethery, der aus neun bisherigen und 15 neuen Spielern in vier Wochen ein verschworenes Ensemble basteln sollte, das möglichst rasch das schwache Abschneiden des vergangenen Jahres vergessen läßt. Den Vorwurf, auf Schlüsselpositionen zu schwach besetzt zu sein, haben die Eis-Löwen nach ihren Niederlagen gegen Schwenningen, Kassel oder Düsseldorf vom Gegner zu hören bekommen und sich, wie es scheint, die Botschaften zu Herzen genommen. Am Donnerstag griffen sie abermals auf dem Transfermarkt zu: Eric Dylla wird vorerst bis Jahresende das blau-gelbe Trikot tragen. Der 25 Jahre alte gebürtige Landshuter absolvierte in der vergangenen Saison 48 DEL-Pflichtspiele für die Augsburger Panther und sammelte dabei 27 Scorerpunkte (15 Tore/12 Assists). Mit den Kölner Haien, dem deutschen Meister, bei dem er zuletzt vorspielte, wurde der Stürmer nicht handelseinig. "Wir werden viel Freude an ihm haben", sagt Nethery.
Schon am Dienstag war Greg Adams auf dem Rhein-Main-Flughafen eingetroffen. Der Kanadier brachte es von 1984 bis 2001 in der NHL auf 1137 Einsätze. "Ich bin davon überzeugt, daß er uns den letzten Kick im Angriff versetzt. So ein Mann kommt nicht im schlechten Zustand nach Deutschland. Adams setzt seinen tollen Namen nicht aufs Spiel", sagte Manager Bernie Johnston nach der Ankunft des einstigen Superstars. Nethery erwartet von Adams "nicht gleich Wunderdinge, denn schließlich war er eine Saison nicht im Spielbetrieb, Aber wenn er sich hier an die Bedingungen gewöhnt hat, kann er uns einen Schub geben. Wer 18 Jahre NHL gespielt hat, verlernt so schnell nichts." Ansonsten machen sich die Lions unbeschwert an die Arbeit, ihre Reihen sind nach allerlei Experimenten fürs erste geordnet: In der Abwehr bilden Paul Stanton/Cory Laylin, Chris Snell/Stephane Richer und Michael Bresagk/Stewart Malgunas die Pärchen. Sollte Jonas Stöpfgeshoff in den kommenden Tagen das noch fehlende Führungszeugnis der schwedischen Polizeibehörden vorlegen und damit seinen Einbürgerungsantrag erfolgreich abschließen können, würde er als Deutscher (nur dann erhält er einen Vertrag) zusammen mit Nachwuchsmann Matthias Frenzel ebenfalls die Defensive stärken. Im Angriff wurden Robert Busch/Rick Girard/Rusty Fitzgerald, Collin Danielsmeier/Victor Gervais/Robert Francz, Christoph Sander/Jason Dunham/Eric Dylla sowie Jackson Penney, Marc Fortier und Greg Adams zusammengestellt.
Einen wirklich großen Wurf traut die Konkurrenz den Frankfurtern nicht zu. Kein Trainer aus der DEL glaubt, daß sie bei der Vergabe des Titels ein entscheidendes Wort mitzureden haben. Dem Trainer gefällt die Ausgangslage ähnlich gut wie Routinier Stanton: "Man wird sich über uns noch wundern." Möglicherweise schon beim Debütauftritt in Franken. "Wir gehen ohne Druck an die Aufgabe heran, nachdem die Lions dort letztes Jahr zweimal hoch verloren haben", glaubt Nethery, der einen eklatanten Unterschied in der Erwartungshaltung zwischen seiner Mannschaft und der des Geheimfavoriten auf die Meisterschaft ausgemacht haben will: "Nürnberg muß unbedingt, wir dagegen können nur gewinnen."
MARC HEINRICH
Nachgefragt bei: Lance Nethery, Trainer der Frankfurt Lions
"Für mich ist Schluß mit dem Thema Len Barrie"
Der 45 Jahre alte Lance Nethery gehört zu den erfolgreichsten Trainern in der Deutschen Eishockey Liga. Vor seinem Engagement bei den Lions holte er von 1997 bis 1999 dreimal mit den Mannheimer Adlern den Meisterpokal und führte die Kölner Haie 2000 auf den zweiten Tabellenplatz. Der in Toronto geborene Kanadier war selbst 19 Jahre als Spieler aktiv und absolvierte für die New York Rangers und die Edmonton Oilers 55 Partien in der nordamerikanischen Profiliga NHL.
Sie haben mit Greg Adams vier Tage vor dem ersten Saisonspiel noch eine ehemalige NHL-Größe unter Vertrag genommen. Was erhoffen Sie sich von ihm ?
Ich weiß nicht, ob er gleich unser Leader auf dem Eis sein wird. Aber er bringt alles dafür mit. Seine Kollegen, das spürt man in der Mannschaftskabine, begegnen ihm mit Respekt und Hochachtung. Ich denke nicht, daß ein Mann mit seinen Qualitäten Probleme mit den im Vergleich zu Amerika größeren Eisflächen bekommt. Er spielt in unserer ersten Angriffsreihe mit Marc Fortier und Jackson Penney eine ganz wichtige Rolle.
Es hieß anfangs von Ihnen, der Kader solle bis zum 1.August komplett sein. Wie kam es im Fall Adams und nun beim früheren Augsburger Eric Dylla, der am Donnerstag unterschrieb, zum Sinneswandel ?
Dylla war auf dem Markt, sein Transfer nach Köln hatte sich zerschlagen, und wir haben bei ihm sofort zugeschlagen, weil wir Angst hatten, daß er auf die Schnelle woanders unterschreibt. Bei Adams ist die Sache anders: Stars wie er kommen eigentlich nicht nach Deutschland, weil, wenn sie nach Europa gehen, lieber in der Schweiz oder neuerdings Rußland zusagen, wo sie viel mehr verdienen können. Sein Wechsel zu den Lions kam ein bißchen zufällig zustande und ist so gesehen ein Glücksfall. Außerdem hatten wir lange gedacht, wir seien uns mit Len Barrie über eine Rückkehr einig, wurden von ihm aber eines Besseren belehrt.
Heißt das, nach diesem Hickhack ist das Werben um Barrie ein für allemal beendet ?
Für mich persönlich ist auf jeden Fall Schluß mit dem Thema Len Barrie. Wir müssen jetzt ohne ihn Spiele gewinnen.
Warum haben Sie so viele Spieler geholt, die schon über dreißig Jahre alt sind ?
Bei erfahrenen Leuten weiß man, was man hat. Unser Torhüter Dominic Roussell hat mehr Spiele in der NHL absolviert als alle anderen 13 Torhüter zusammen. Außerdem kann ich mich über den Vorwurf, unser Kader sei zu alt, nur totlachen. Adams hat bei seinem Fitneßtest einen Fettwert von sieben Prozent erzielt - ich kenne Hunderte junge, deutsche Spieler, die in ihrer ganzen Karriere nicht so austrainiert sein werden wie er.
Muß die Play-off-Teilnahme nach den Investitionen in diesem Sommer nicht das logische Ziel der Lions sein ?
Eigentlich ja, aber der März 2003 ist noch weit weg. Wir wissen noch nicht, wo wir stehen, die Vorbereitungszeit bewerte ich nicht über, man muß jetzt sehen, wie die Spieler mit der Nervosität, dem Druck und dem harten Körpereinsatz während der Saison umgehen. Nach der schlechten letzten Saison beginnen wir in Frankfurt bei null. Unsere Defensive scheint stabil, nach vorne müssen wir noch zulegen. Aber wir haben auch noch eine Ausländerlizenz in der Hinterhand.
Die Lions galten zuletzt als Strafbankkönige. Wie wollen Sie das ändern ?
Ich weiß, daß Frankfurt in der DEL einen schlechten Ruf hat. Wir arbeiten daran, daß er besser wird, und es muß besser werden. Bei mir gibt es einen harten Strafenkatalog: Dumme Fouls sollen künftig vermieden werden, und wenn die Schiedsrichter gegen uns entscheiden, müssen meine Spieler das ohne Murren akzeptieren. Das Provozieren muß aufhören.
Aufgezeichnet von Marc Heinrich.
Grenzgänger
Kommentar von Marc Heinrich
Matthias Frenzel hat es als erster zu spüren bekommen, was es heißt, gegen Lance Netherys Gebote zu verstoßen. Der talentierte Lions-Verteidiger, gerade zwanzig Jahre alt, hatte in den Sommerferien den Leiblichen Genüssen dermaßen gefrönt, daß er mit vier Kilo Übergewicht zum ersten Training erschienen war. Die Folge: Der neue Trainer belegte ihn mit Dessert-Verbot im Trainingslager und brummte ihm Sonderschichten beim Zweitligaklub Bad Nauheim auf, dem man neuerdings wieder in Freundschaft verbunden ist. Die individuellen Höchstgrenzen, die beim offiziellen Wiegen nicht überschritten werden durften, hatte Nethery in Absprache mit den medizinischen Betreuern jedem einzelnen seiner Spieler vor Urlaubsbeginn mitgeteilt. Eine derart professionelle Vorbereitung war das Team, was man zur Frenzels Entschuldigung anführen könnte, aus der Vergangenheit nicht gewöhnt.
Mit Nethery haben sich Lebensart und Umgangsformen geändert. Er will die Eis-Löwen nach Jahren der Abstinenz wieder an die Fleischtöpfe der Deutschen Eishockey Liga (DEL) führen - und dazu braucht er Mitstreiter, "die verstehen, daß ihr Körper ihr wichtigstes Kapital ist". Diesen Merksatz hat er seinen Leuten eingebleut. Und es scheint, als hätten die erzieherischen Maßnahmen erste Erfolge erzielt: In der Kabine, wo früher becherweise Limonade getrunken wurde, stehen auf einmal Kisten mit Äpfeln und Bananen. Spieler gehen freiwillig in ihrer Freizeit in Fitneßstudios, weil sie gemerkt haben, "daß man in diesem Jahr bereit sein muß, das Letzte aus sich herauszuholen, um bei Nethery gute Karten zu haben", wie es Stürmer Christoph Sandner ausdrückt. Zumindest die Fahrt ins Bodybuildingstudio wird er sich bald sparen können: Nethery drängt darauf, daß die alten Hantelbänke und Ergometer, die im Keller des Eisstadions ein Schattendasein fristen, durch Geräte neuerer Bauart ersetzt werden. Er weiß, daß diese Mannschaft, will sie Erfolg haben, mehr noch als die Konkurrenz an sich arbeiten muß: Fast die Hälfte seiner Spieler hat das dreißigste Lebensjahr überschritten - die Lions gelten schon jetzt als die "Grauen Panther" der DEL.
Und noch etwas ist anders: Man spricht wieder Deutsch im Frankfurter Eishockey. Nicht nur der Trainer, und damit unterscheidet er sich von drei Vorgängern der letzten Runde, ist der Sprache mächtig, auch im Kader stammt ein Großteil der Akteure aus hiesigen Breitengraden. Es war Klubchef Gerd Schröder, der Manager Bernie Johnston beauftragt hatte, bei den Transfers verstärkt auf die "deutsche Karte zu setzen". Ob diese sich als Joker oder Fehlfarbe erweist, werden die kommenden 52 Spiele zeigen. Nethery ist zurückhaltend, wenn er seine Ziele umreißen soll. Die Frankfurter Großmannsucht vergangener Jahre ist ihm fremd. Er wäre froh, sagt er, in einem Jahr noch bei den Lions auf der Bank zu sitzen. Mehr nicht. Und doch wäre es ein achtbarer Erfolg - denn seit Pjotr Worobjew 1996 hat kein Trainer sein reguläres Dienstende bei den Lions erlebt. mah.
http://www.lions-database.de