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Mit verbrannten Händen
In der EU scheint nach dem Eklat die Mauer des Schweigens um Italiens Autokraten Berlusconi eingerissen
Von Richard Meng (Berlin) und Martin Winter (Brüssel)
Nun kennen ihn alle, den Martin Schulz aus Würselen bei Aachen. Ob die britische BBC, die italienische RAI Uno, der belgische Soir, die Financial Times oder die International Herald Tribune, von deutschen Zeitungen und Sendern ganz zu schweigen - in der Nacht zum Donnerstag wird analysiert und geschrieben, was das Zeug hält, und immer geht es auch um Schulz, um diesen europäischen Abgeordneten, der eine Falle aufstellte, in die der italienische Ministerpräsident und neue EU-Ratsvorsitzende Silvio Berlusconi blind hineinlief. Dabei war es nicht einmal eine besonders hinterhältige. Schulz, früher Buchhändler und Bürgermeister, begehrte in der ihm eigenen polterigen, immer aber engagierten Art Auskunft darüber, was denn der Medienmogul und Milliardär aus Rom für den Fortgang der europäischen Justizpolitik zu tun gedenke. Eine durchaus legitime Frage, zu der dem von Ermittlern bedrängten Berlusconi dann aber nur ein gehässiger Nazi-Vergleich einfiel.
Dass ein veritabler Ministerpräsident so vor dem Europäischen Parlament ausklinken kann, hatte der selber nicht gerade zimperliche Sozialdemokrat Schulz wohl nicht erwartet. Und gewiss schon gar nicht, dass daraus ein Erdbeben würde, dass nicht nur die italienische EU-Präsidentschaft erschüttert, sondern auch jene Mauer des Schweigens einreißt, die die anderen Regierungen um die Causa Berlusconi errichtet hatten in der Hoffnung, einem schweren Konflikt mit Italien aus dem Wege gehen zu können.
Der Fall Berlusconi liegt den meisten EU-Regierungen schon lange schwer im Magen. Die Neigung des italienischen Premiers, sich den Staat untertan zu machen und sich die Gesetze nach eigenem Vorteil zurechtzubiegen, wirft nämlich die Frage auf, ob es sich hier neben dem Schaden für das Ansehen Europas nicht auch um einen klaren Fall von Vertragsverletzung handelt. Das jedoch ist eine peinliche Frage, denn wer sie mit Ja beantwortet, muss ein Verfahren gegen Rom in Gang setzen.
Eine delikate Affäre, an die sich keiner herantraut. Gleichwohl machen EU-Kommissare im privaten Gespräch kein Hehl daraus, dass Berlusconi mit seiner eigenwilligen Rechtspolitik gegen die europäischen Verträge verstößt. In Artikel 6 (1) des Kontrakts über die Europäische Union verpflichten sich alle Mitgliedstaaten auf die Grundsätze "der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit". Von Rechtstaatlichkeit könne aber im Falle Italiens nur noch begrenzt die Rede sein, sagen nicht wenige in Brüssel. Sie verweisen auf Artikel 7 des Vertrags, in dem Sanktionen gegen eine Verletzung des Artikel 6 vorgesehen sind.
So weit die Vertragstheorie. In der politischen Praxis der EU aber reagieren die Länder wie Kinder mit verbrannten Händen. Die Pleite mit den Sanktionen gegen Österreich, als in Wien die rechtspopulistische FPÖ in die Regierung kam, hat die Lust zur Intervention in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedlands gegen null schrumpfen lassen. Wie weit das schon geht, offenbarte Schulz, als er bei seinem Auftritt beklagte, den Abgeordneten sei empfohlen worden, in der Debatte mit Berlusconi keine Bezüge zu dessen Innenpolitik herzustellen. Aber, fragte Schulz in die Runde, Italien sei doch Mitglied der EU? Und genau da liegt der Hund begraben. So wie eine verfehlte Wirtschaftspolitik in Deutschland den Rest der EU in Mitleidenschaft zieht, so wirft eine Vergewaltigung des Rechtsstaats in Italien einen dunklen Schatten auf die gesamte Union. Zumal dann, wenn sein Verursacher auch noch Präsident der EU wird.
Martin Schulz mag nicht die vornehmste aller Aktionen gestartet haben, aber eine dem inneren Klärungsprozess der EU zweifellos dienliche. So lässt sich in Berlin der bislang verfolgte Kurs nicht mehr halten. Bis zum Eklat im Europäischen Parlament erschien Berlusconis Präsidentschaft als Thema für Spezialisten. Im deutschen Regierungslager setzten die Außenpolitiker auf gezieltes Ignorieren, das ihnen zugleich ein schlechtes Gewissen bereitete. Nun gibt es plötzlich Anspielungen, die weit über den konkreten Vorfall hinausgehen. "Bis jetzt wollte man die italienische Ratspräsidentschaft unvoreingenommen aufnehmen und sie anhand der Inhalte und Ziele ihres Programms beurteilen", heißt es etwa bei der SPD. Das aber werde "zunehmend schwerer". Im Sinne einer europäischen Innenpolitik brauche es "wohl doch einen intensiveren Blick auf die inneritalienischen Verhältnisse".
Natürlich haben sie den in Berlin schon lange. Nur: Öffentlich äußern wollten sie sich dazu nicht. Denn die Strategie des politischen Boykotts gegen Österreich hatte man rückblickend als falsch gewertet. Und mit einer gewissen Jovialität stellten deutsche Regierungsmitglieder seit Berlusconis Amtsantritt den ungeliebten Italiener eher als ein Phänomen hin: Politisch rechts gewiss auch, aber vor allem doch patronenhaft, meistens etwas ungestüm und doch "italienisch herzlich". Ein typischer Industrieller sei Berlusconi eben. Ein Mann, dem politische Gepflogenheiten und fachpolitisches Denken fremd sind, einer mit dem Selbstbild eines unangefochtenen Clanchefs. Dass er einem deutschen Regierungsmitglied beim Kennenlernen als Geschenk eine Armbanduhr überreichen wollte, buchte man in Berlin eher unter "ungeübt im Politischen" ab. Seinen Hang zur Kumpelhaftigkeit im persönlichen Gespräch lernten sie in Berlin durchaus schätzen, und über das Politische wollten sie nach der Erfahrung mit Österreich möglichst wenig lamentieren.
Bis Straßburg. Am Tag danach verlangt Kanzler Gerhard Schröder im Bundestag von Berlusconi eine Entschuldigung. Ein Versuch, die unangenehme Angelegenheit zwar geräuschvoll, aber schnell zu beenden. Beifall gibt es im Parlament dazu von allen Seiten - sogar, ansonsten völlig unüblich, von der Regierungsbank. "Das sagt doch mehr als tausend Worte", kommentiert hinterher ein Regierungsmitglied.
Da zeichnet sich schon ab, wie nach einem Telefonat zwischen Schröder und Berlusconi die Wogen wieder geglättet werden sollen. Im Parlament drückt Außenminister Joschka Fischer drei Stunden nach des Kanzlers Auftritt und noch vor dem Gespräch der Chefs die Hoffnung aus, der Fall möge bald "abgeschlossen" sein. Nach wie vor nämlich sieht Schröders Koalition keinen Sinn darin, die "Arbeitsbeziehungen" zwischen Berlin und Rom auf Regierungsseite dauerhaft zu belasten.
Im Gegenteil. Trotz der Einbestellung des italienischen Botschafters ins Kanzleramt und des deutschen Diplomaten zur römischen Regierung gilt: "Für uns ist es von größter Wichtigkeit, dass die italienische EU-Präsidentschaft erfolgreich wird", heißt es im Auswärtigen Amt. Mit einem längeren Streit stünde "zu viel auf dem Spiel". EU-Verfassung und die Erweiterung stehen an - und als Gründungsmitglied der Gemeinschaft seien die Italiener "Vorsitz-erfahren" genug, um mit dieser Rolle klarzukommen.
gruß, mick (bekennender alteuropäer)