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Zwischen Himmel und Hölle steht nicht mehr als eine zehn Zentimeter dicke weiß verflieste Ziegelmauer. Zwischen genießerischer Erleichterung und verbitterter Frustration gibt es sogar eine Verbindungstür. Aber nach dem ebenso knappen wie verdienten Punktsieg von Sven Ottke über den Dänen Mads Larsen vor 8.000 Zuschauern in Erfurt hätten die Kabinen der beiden Super-Mittelgewichtler dort hinten in der Messehalle gut und gerne auch in verschiedenen Sonnensystemen liegen können.
Hinter dem blauen Schild "Sven Ottke" genoss der Weltmeister der IBF und Super-Champion der WBA die "ziemlich lockere Vorstellung", die zum 2:1-Punktrichter-Urteil von 115:113, 115:113 und 115:115 geführt hatte. "Ich hatte es mir schwerer vorgestellt. Larsen hat mich höchstens zweimal getroffen in den ganzen Runden. Allerhöchstens dreimal. Unser Konzept ist perfekt aufgegangen."
Das Konzept lautete: Führhand des Rechtsauslegers Larsen durch die eigene Linke negieren, viel mit Körpertreffern arbeiten und "ansonsten immer schnell weg, wenn er mit seinen schweren Händen kommt." Vor allem die Rechte zum Körper, die laut Ottke-Trainer Ulli Wegner "nur Sven mit seiner Schnelligkeit so effektiv bringen kann", kam bestimmt 20-mal im Kampfverlauf klar durch.
Ansonsten war Ottke einfach unfassbar. Halt: Das heißt beileibe nicht, dass er unfassbar gut war, einfach nur unfassbar. Larsen suchte zehn von zwölf Runden den Kampf, aber er konnte ihn nicht finden.
Genau das löste die Frustration aus, die Ottke hätte hören können, wenn er nicht dauernd mit Fernseh-Interviews und der Entgegennahme von Glückwünschen beschäftigt gewesen wäre.
Als ein deutscher Journalist hinter die Tür mit dem roten Schild "Mads Larsen" schlüpfte, brach der ganze Ärger des dänischen Lagers über ihn herein. "Deutschland ist das korrupteste Land auf der ganzen Welt", tobte Mogens Palle, der Vater von Larsens Promoterin Bettina Palle. Ein dänischer Journalist gratulierte ironisch zum ersten Sieg im "Marathonlaufen mit Boxhandschuhen". Und ein fetter, verschwitzter Typ mit fliederfarbenem Hemd wurde beinahe handgreiflich. "Wer Ottke als Sieger sieht, der hatte auch ein Unentschieden für Deutschland im Zweiten Weltkrieg", geiferte Michael Marley, der New Yorker Anwalt des Palle-Clans.
Dazu muss man wissen, dass Marley ein Experte in Sachen verbaler Massenvernichtungswaffen ist. Der gute Mike war erst Boulevard-Schreiber in der wenig feinen Zeitungslandschaft Manhattans und stieg später zum Pressesprecher und Hofnarren eines gewissen Don King auf.
Als die Situation außer Kontrolle zu geraten schien, drängte sich Larsen selbst durch die Menge. "Schau’ mir in die Augen und sage mir, ob ich verloren habe", verlangte der sympathische Herausforderer. Nach der Antwort "Ottke hat öfter getroffen, 115:113 ist korrekt" atmete der 30-Jährige einmal tief durch, nahm dann die Hand seines Gegenüber und sagte: "Ich bewundere den Mut zu dieser Meinung. Aber Du liegst völlig falsch."
Eher nicht. Selbst der aggressivste der dänischen Journalisten hatte bei einem Vergleich der Wertungen lediglich ein 115:113 für Larsen. Was bestätigt, dass es ein knapper Kampf war. Nicht mehr und nicht weniger.
Ottke jedenfalls wirkte bei seinem 20. Sieg in einem WM-Kampf und seinem 32. Triumph insgesamt spritziger und lockerer als vor drei Monaten gegen den inzwischen zurückgetretenen Engländer David Starie. Aber irgendwie fehlt ihm seit dem Triumph über den damaligen WBA-Champion Byron Mitchell die allerletzte Motivation, aus knappen Vorsprüngen klare Siege zu machen. Das war auch ganz am Anfang von Ottkes Weltmeister-Karriere so, als er gegen beherrschbare Gegner auf Autopilot schaltete und seine Talente auf bloßes Ausweichen reduzierte. In einer idealen Welt hätte sich Sven Ottke zu einem Endspurt in den Runden elf und zwölf aufraffen können, müssen, um den Erfolg überdeutlich zu machen.
So gilt die Analyse seines Stallgefährten, des WBC-Weltmeisters Markus Beyer: "Sven hat in zwölf Runden keinen einzigen Fehler gemacht." Beyer, der mit Ottke oft genug in der Trainingshalle bedingtes (übersetzt: gebremstes) Sparring absolviert hat und regelmäßig bei den Videoauswertungen mit dabei ist, beschreibt das Dilemma aller Ottke-Gegner: "Sein Boxstil schaut so unspektakulär aus, aber die Schnelligkeit kommt auf den Videos nicht rüber. Im Kampf kommt dann die Riesenüberraschung, weil es keine Chance gibt, Sven überhaupt zu treffen. Irgendwann, weil man es ja immer wieder probiert, redet man sich ein, ganz toll gegen ihn ausgesehen zu haben. Aber wenn man dann genau hinschaut, ist da so gut wie nichts." Unfassbar, aber doch erklärbar.
Larsens Bitte um einen Rückkampf wird wohl genauso ins Leere laufen. Kurioserweise hat der Däne einen unterschriebenen Kampfvertrag in der Tasche und müsste am 4. Oktober gegen Ottkes Stallgefährten Danilo Häußler um den EM-Gürtel kämpfen. Das wäre garantiert ein ganz anderer Kampf, einer auf Biegen und Brechen, aber erst einmal muss Larsen seinen Frust überwinden.
Ottke wiederum plant nur noch von Kampf zu Kampf. Am 13. Dezember vermutlich in Nürnberg steht der nächste Termin an. Vielleicht, aber nur vielleicht, gibt es eine Fortsetzung der Karriere im Jahr 2004. Von seiner Klasse her könnte Ottke locker weiterboxen, aber sich richtig zu motivieren wird von Kampf zu Kampf schwieriger. Es ist durchaus bezeichnend, dass sich der 1998 gekürte Champion inzwischen Abenteuer anderer Art sucht. Den Kilimandscharo zum Beispiel. Am Mittwoch fliegt Ottke nach Afrika, um als prominenter Teilnehmer eine Reisegruppe den Fünftausender zu erklimmen.
Einen anderen Gipfel hat er schon wieder erobert. Kurzzeitig hatte Ottke den Spitzenplatz in der unabhängigen Computer-Weltrangliste im Super-Mittelgewicht an den Waliser Joe Calzaghe verloren. Jetzt ist er wieder die Nummer eins. Mit 36 Jahren. Unfassbar.
[Andreas Lorenz]
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Die Kolumne von Andreas Lorenz erscheint in unterschiedlichen Abständen, etwa 14-tägig, zu Wochenbeginn und zusätzlich nach Aktualität.
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Die in dieser Kolumne geäußerten Meinungen spiegeln lediglich die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise den Ansichten der Redaktion oder der Sauerland Event GmbH.

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