Der Pole und die Schokos
Superstar Dirk Nowitzki und eine selbstbewusste Multikulti-Truppe bilden die stärkste deutsche Nationalmannschaft aller Zeiten. Doch bei der am Freitag beginnenden Europameisterschaft steht sie erstmals unter Erfolgsdruck.
Dirk Nowitzki, "Eine Mannschaft, die sich selbst führt"
Er wäre auch gern Fußball-Nationalspieler geworden: Stefano Garris, geboren in Paderborn, Sohn einer Italienerin und eines im Ostwestfälischen stationierten US-Soldaten. Für Grün-Weiß Paderborn hat er gekickt, bis er als Zehnjähriger mit dem Vater, dem Zwillingsbruder und der Schwester nach Amerika gezogen ist.
Das Erste, was Stefano Garris in seiner neuen Heimat gesucht hat, war ein Fußballplatz. Doch die Kinder in Raleigh (North Carolina) schüttelten nur den Kopf. Fußball spiele man hier nicht. "Siehst du den Korb da?", fragten sie stattdessen zurück. "Das spielen wir." Also hat Stefano Garris angefangen, große orangefarbene Bälle durch einen aufgehängten Ring zu werfen.
Drei Jahre später kehrte er in sein Geburtsland zurück. Und die Frage, ob er sich dort einem Fußball- oder einem Basketballverein anschließen solle, stellte sich nicht mehr.
Am Freitag dieser Woche steht Stefano Garris, 24, im schwedischen Norrköping in der Startaufstellung der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Es geht um den Titel des Europameisters, Deutschland zählt bei dem zehntägigen Turnier zu den Favoriten.
Experten glauben, dass es die beste Mannschaft ist, die jemals für die Bundesrepublik gespielt hat. Und das liegt vielleicht auch daran, dass die meisten Spieler so sehr oder so wenig deutsch sind wie Stefano Garris.
Die Zusammensetzung des Kaders, sagt Roland Geggus, der Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB), spiegele die Realität auf den heimischen Plätzen wider: "Da spielen Deutsche mit Spaniern, Griechen, Italienern." Im Nationalteam darf generell mitmachen, wer vor seinem 16. Geburtstag einen deutschen Pass erhalten hat. Fünf aus dem EM-Aufgebot haben keine deutschen Eltern, zwei lediglich eine deutsche Mutter.
Da scheint es nur konsequent, dass der Trainer zwar Henrik Dettmann heißt, aber aus Finnland stammt. Seine Aufgabe ist doppelt heikel. Zum einen muss er aus einer Schar junger Männer mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen ein homogenes Ensemble bilden; zum anderen muss er einen Akteur integrieren, der auf und neben dem Spielfeld alle anderen in den Schatten stellt: Dirk Nowitzki, der beste Ausländer in der amerikanischen Profiliga NBA.
Das Team funktioniert trotz seiner ausgefallenen Mischung, weil Basketball eine Sportart ist, die keine Sprache braucht. Augenkontakt oder eine Handbewegung reichen zur Verständigung auf dem Parkett aus. Zudem kennt fast jeder aus dem 13-köpfigen Kader das Gefühl, Außenseiter zu sein. "Wir alle wissen, wie wichtig Solidarität ist", sagt Stefano Garris. Oft genug ist er in Paderborn wegen seiner dunklen Hautfarbe angepöbelt worden.
Der Umgangston beim Vorbereitungsturnier in Braunschweig, eine Melange aus Serbokroatisch, Englisch und Berlinerisch, war rau und albern wie immer. Die hellhäutigen Spieler nennen die farbigen mit Vorliebe "Schokos", und wenn sich der in Berlin geborene, türkischstämmige Mithat Demirel erlaubt, über die Hotelküche zu mäkeln, dann kriegt er zu hören: "Hol dir doch einen Döner." Selbst die Urdeutschen werden verspottet. Weil der Name Nowitzki irgendwie nach Osteuropa klingt, ist er für seine Mitspieler nur "der Pole". Es gebe "keinen Grad, an dem es für die Jungs verletzend wird", sagt Sportdirektor Wolfgang Brenscheidt. "Wenn die sich anmachen, lachen sie sich kaputt."
Die Generation Multikulti scheint über den Dingen zu stehen. Spieler wie Demirel und Eyinmisan Edward Nikagbatse - Vater Nigerianer, Mutter Finnin - besitzen längst ausreichend Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. In der Qualifikation zur Europameisterschaft im vergangenen Herbst und Winter, bei der die Leitfigur Nowitzki fehlte, übernahmen Patrick Femerling, Marko Pesic und Ademola Okulaja die Führungsrolle in einer Art Jobsharing. Das Team gewann neun von zehn Begegnungen - die beste Bilanz aller Zeiten.
Gleichzeitig sind die Spieler aber auch flexibel genug, dass sie Nowitzki den Chefposten überlassen haben, als er Mitte August nach fast einjähriger Abwesenheit wieder zur Mannschaft stieß. "Dirk ist nicht der Heiland", sagt der Center Femerling, "doch er macht uns alle selbstbewusst."
Dass es nicht zu Eifersucht und hierarchischen Verspannungen kommt, wenn "Dirkules", der Superstar mit dem 15-Millionen-Dollar-Jahresgehalt, aus den USA einschwebt, verblüfft. Spieler wie langjährige Begleiter glauben aber, das Phänomen erklären zu können: Nowitzki & Co. kennen sich aus Schülertagen. Demirel war 13, als er das erste Mal mit Okulaja in Berlin-Schöneberg am Innsbrucker Platz Basketball gespielt hat. Mit Pesic hat er auf der Beethoven-Oberschule in Steglitz-Zehlendorf das Abitur gemacht. Bei der Europameisterschaft der 18-Jährigen 1996 in Frankreich standen vier aktuelle Nationalspieler im Aufgebot; Nowitzki war auch dabei.
Wenn sich die DBB-Elite trifft, geht es deshalb zu wie auf einer Klassenfahrt. Im vierten Stock des Mövenpick-Hotels in Braunschweig lässt Femerling die Zimmertür sperrangelweit offen stehen, obwohl er gerade nackt aus der Dusche kommt, ein anderer beschallt die halbe Etage mit den Klängen des Musiksenders MTV. Aber alle halten den Zapfenstreich ein, und zum freiwilligen Wurftraining erscheint fast jedes Mal das komplette Team.
Es war nicht immer so, dass die besten Basketballer treu fürs Heimatland spielen. Nach dem sensationellen Gewinn der Europameisterschaft 1993 in München hat der DBB "händeringend Spieler gesucht", erinnert sich Vizepräsident Wolfgang Hilgert. "Die hatten alle keinen Bock, haben nur die Hand aufgehalten und bei der Nationalhymne gelangweilt auf den Boden geguckt. Die jetzige Truppe ist die reinste Wohltat. Sie ist extrem hungrig."
Als Dienst am Vaterland ist die Lust auf die Nationalmannschaft allerdings nicht zu verstehen. "Ich fühle mich nicht als Deutscher, auf gar keinen Fall", sagt Pesic energisch. Er ist in Sarajevo geboren, als Sohn eines Serben und einer Kroatin. "Ich repräsentiere dieses Land, weil ich schon 15 Jahre hier lebe. Aber in erster Linie spiele ich mit meinen Freunden zusammen. Das ist mir wichtig. Ob ich für Deutschland spiele oder für ein anderes Land, ist sekundär."
Diese Mentalität und die unterschiedlichen Wurzeln der Athleten prägen auch die Spielweise des Teams. Es zieht sich nicht auf teutonische Tugenden zurück, sondern hat sich auf einen Code geeinigt, den Trainer Dettmann als "eine Mischung aus den drei wichtigsten Basketballschulen" beschreibt. In der amerikanischen Lehre steht die Athletik im Vordergrund, in der baltischen die Dynamik, in der jugoslawischen die Disziplin und die Vielseitigkeit.
"Früher hat die Nationalmannschaft konservativ gespielt, war zurückhaltend", sagt Okulaja, der im nigerianischen Lagos zur Welt kam. "Wir sind frech und fordern jeden Gegner heraus."
Henrik Dettmann, 45, lässt sie gewähren. Denn das Ziel des Trainers ist "eine Mannschaft, die sich selbst führt". In den Auszeiten diskutiert er darum regelmäßig nur mit seinen Assistenten, während sich die Spieler separat beraten. Das Team, sagt er, müsse in der Lage sein, "auch ohne uns die richtigen Entscheidungen zu treffen".
Der Coach, seit 1997 in Diensten des DBB, sieht seine einzige Aufgabe im Grunde darin, "Spieler auszuwählen, mit denen man so arbeiten kann". Dettmann, für den der Aufbau einer Sportlergruppe "ein spiritueller Prozess" ist, sortiert Egomanen gnadenlos aus.
Prominentestes Opfer ist der Leverkusener Denis Wucherer. Der erfolgreichste deutsche Korbschütze der vergangenen Bundesliga-Saison würde das Mannschaftsgefüge sprengen, argumentiert Dettmann, weil er als Spieler gilt, der lange Einsatzzeiten und viele Würfe fordert. Der Coach hat Wucherers Position mit Garris besetzt, der bei Alba Berlin im Schnitt nur halb so viele Punkte erzielt.
Dettmann, dessen Trainerkarriere bei Helsinki YMCA begann, vertritt die eigentümliche These, dass er eine Mannschaft nicht mehr beeinflussen kann, sobald der Ball im Spiel ist. Als er auf der Pressekonferenz nach dem Sieg beim Supercup gegen Kroatien gefragt wurde, warum der Gegner so oft zu leichten Korblegern gekommen sei, antwortete er: "Keine Ahnung, ich stand nicht auf dem Feld."
Es ist nicht klar, ob Dettmanns Philosophie ("Das Leben ist ein nicht endender Dialog. Du bist du, und ich bin ich") genial ist oder versponnen. Als Coach sieht er sich in der Tradition von Phil Jackson, der die Chicago Bulls in den neunziger Jahren mit Theorien über Tai-Chi und Zen-Buddhismus zu Weltruhm führte. Dettmann liebt Sätze wie: "Die Spieler sollen den Ball kontrollieren und der Ball das Spiel."
Als die DBB-Auswahl letztes Jahr in der Endphase des WM-Halbfinals gegen Argentinien konzeptlos wirkte und Okulaja versäumte, im entscheidenden Moment ein taktisches Foul zu begehen, sah der Trainer regungslos zu. Holger Geschwindner, ein Ex-Nationalspieler und Nowitzkis Mentor, kritisierte damals die kontemplative Art des Finnen: "Wenn ein Flugzeug außer Kontrolle gerät, dann kann man auch nicht die Crew zusammentrommeln und über das weitere Vorgehen abstimmen. Da braucht man eine knüppelharte Entscheidung."
Fest steht aber, dass Spieler wie Garris, Demirel und Nikagbatse in der Nationalmannschaft häufig besser spielen als im Verein, wo es vergleichsweise diktatorisch zugeht. Und dass - trotz der Niederlage gegen Argentinien - der Gewinn der WM-Bronzemedaille der größte Triumph in der Geschichte des Deutschen Basketball Bundes gewesen ist.
Die Aufgabe in Schweden hat dieser Erfolg nicht unbedingt erleichtert. Erstmals steht die Multikulti-Truppe unter Erwartungsdruck. Ein Platz unter den ersten drei, der sicher die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen bedeuten würde, ist quasi Pflicht. Doch bereits im Viertelfinale trifft man vermutlich auf Spanien oder den Weltmeister und Titelverteidiger Jugoslawien (jetzt Serbien und Montenegro). Da kann das Turnier zu Ende sein, ohne dass es als Blamage gewertet werden muss.
Und deshalb hat sich jeder seine eigene Verdrängungsstrategie zurechtgelegt.
Marko Pesic will "stolz darauf sein, dass man viel von uns erwartet". Ademola Okulaja behauptet, keinen Druck zu spüren: "Wir gehen raus und wollen Spaß haben." Henrik Dettmann tut tapfer so, als wäre nichts gewesen in den vergangenen Jahren: "Wir sind immer noch die Jäger."
Méschda Hoschbess holy a.k.a. Rosebud ...und nichts ist wie es scheint!!
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