Vorbericht zum Finale der Champions-League
Das Duell der Bosse
Von Vincenzo Delle Donne
Juventus war FIAT, Juventus war auch Gianni Agnelli, Juventus Turin war in Italien das Maß aller Dinge: Der Rekordmeister, der Jahrzehnte lang außer Konkurrenz spielte und Titel einheimste. Nur solange allerdings, bis Silvio Berlusconi die Szene betrat.
Seit der arrivierte Unternehmer 1986 die Aktienmehrheit des Mailänder Renommierklubs AC Milan übernahm, war es mit der Vormacht von Juve und von Gianni Agnelli vorbei. Eine neue Zeit begann. Das Alte, in dem Understatement und Stil gefragt waren, hielt nicht mehr dem Neuen stand. Silvio Berlusconi, der es innerhalb von 20 Jahren vom Alleinunterhalter auf Kreuzschiffen zum Baulöwen und Medienmogul gebracht hatte, mutierte zum neuen Zampano der Nation: im Fußball, in der Wirtschaft und kurze Zeit später auch in der Politik. Vergeblich versuchte währenddessen der "Avvocato" Agnelli, Juves Niedergang aufzuhalten.
Holländische Ära
Unter Berlusconis Ägide zerbrach der AC Milan das alte Gefüge, das der Turiner "Alten Dame" Juventus über Jahrzehnte hinaus eine Vormachtstellung gesichert hatte. Er verpflichtete als Cheftrainer den damals unbekannten Arrigo Sacchi und mit ihm zwei holländische Stars: Ruud Gullit und Marco van Basten. Für sich reservierte er das Amt des Vereinspräsidenten. Seine rechte Hand Adriano Galliani setzte er als Statthalter ein. Auf Anhieb gewann Milan 1988 den "scudetto", den Meistertitel, der die Grundlage für einen Reigen internationaler Erfolge bildete.
"Silvio Berlusconi ist maßlos!"
Sacchis Philosophie des spektakulären Angriffsfußballs passte ins Konzept des "Fernsehkönigs". Durch die Synergieeffekte mit seinen TV-Sendern wurde Milan so zur persönlichen Propagandamaschine. Mailand wurde zum Nabel der europäischen Fußballwelt.
Die Stimmung der Fans vor dem Spiel
Die Inflation bei den Gagen- und Ablösesummen war natürlich unaufhaltsam. Den Höhepunkt bildete die Verpflichtung von Gianluigi Lentini 1992. Eigentlich war sich Lentini, der beim AC Turin ins Rampenlicht getreten war, schon mit Juventus einig. Doch im letzten Moment schaltete sich Berlusconi ein und warb ihn für eine Rekordablöse von damals umgerechnet 60 Millionen Mark ab. Ein Teil der Summe floss schwarz. Gianni Agnelli wertete das als einen unerhörten Affront. Sein Kommentar: "Silvio Berlusconi ist maßlos!" Apropos: Der spektakuläre Transfer erwies sich als Fehlinvestition.
Aus seiner Bewunderung für den jüngst verstorbenen "Avvocato" Gianni Agnelli hat Berlusconi nie einen Hehl gemacht. Im Gegenteil. Er hat sie auch ihm gegenüber immer offen ausgesprochen.
"Ich habe ein Bild von Ihnen auf meinem Nachttisch", verriet er Agnelli bei der Besichtigung eines FIAT-Werkes. Gianni Agnelli und Juventus Turin repräsentierten das Establishment, den "feinen Salon der italienischen Wirtschaft", zu dem Berlusconi unbedingt gehören wollte. Berlusconi eiferte seinem Vorbild nicht nur nach, sondern übertraf ihn schließlich.
Der Patriarch dankte ab
In einem letzten verzweifelten Versuch, wieder die Spitze im italienischen Fußball einzunehmen, holte Gianni Agnelli 1992 Giovanni Trapattoni zurück. Doch ohne Fortüne. 1994 schließlich resignierte der von Langeweile geplagte Patriarch. Er dankte ab und überließ Juventus Turin seinem Bruder Umberto, der den Verein umkrempelte. Und dem jüngsten Bruder gelang das, was keiner für möglich gehalten hatte: Mit Marcello Lippi als Cheftrainer gewann Juventus nach fast zehn Jahren Abstinenz wieder eine Meisterschaft und im Jahr darauf gegen Ajax Amsterdam die Champions League. Darauf folgten eine Vielzahl von nationalen und internationalen Erfolgen.
Juventus meldete sich zurück
Juve war wieder da. Es war der Teamarbeit des "Triumvirats" Antonio Giraudo, Roberto Bettega und Luciano Moggi in der Chefetage des Vereins zu verdanken. Der Erfolg ist seither nicht abgerissen. Während Milan noch immer Berlusconi gehört, ist Juve mittlerweile an der Börse notiert und musste unliebsame Aktionäre ins Boot nehmen: So erwarb der Sohn des libyschen Revolutionsführers Ghaddafi, El Saadi Ghaddafi, im letzten Jahr ein acht-prozentiges Aktienpaket. Die akute Geldnot verlangt es - zumal nicht nur Juventus, sondern auch FIAT in einer akuten Finanzkrise steckt. Für die Verluste von Milan, die 2001 mit 33 Millionen Euro angegeben wurden, kommt Berlusconis Firmengruppe auf. Juve wies hingegen einen Gewinn von fast 6 Millionen Euro aus.
Berlusconi braucht den Sieg
Sportlich hat sich Juve seinen alten Rang zurückerobert. Silvio Berlusconi musste schmerzlich erfahren, dass seine Macht nicht grenzenlos ist. Grotesk mutet jetzt an, dass er gegenwärtig einen Sieg gegen Juve mehr denn je braucht. Denn dadurch hofft der Ministerpräsident, sein derzeit durch ein Justizverfahren in Mailand ramponiertes politisches Image etwas aufzupolieren.
Stand: 28.05.2003, 09:10 Uhr
Stand: 28.05.2003, 09:06 Uhr
http://sport.ard.de/sp/fussball/news2003...and_turin.jhtml
Duell der Giganten: Juventus gegen AC Milan
Mailand-Coach Carlo Ancelotti (l) sitzt mit Paolo Maldini (m) und Clarence Seedorf bei einer Pressekonferenz in Manchester hinter den Mikrofonen.
Manchester (dpa) - Das »Theater des Fußballs« ist bereit für eine spektakuläre Aufführung der italienischen Giganten - Europa blickt gebannt auf die Traum-Kulisse zum Champions-League-Endspiel zwischen Juventus Turin und dem AC Mailand.
»Das Stadion ist wunderbar und beeindruckend. Dieses Finale wird die ganze Charakteristik des italienischen Fußballs zeigen. Von der Qualität der Spieler wird das ein exzellentes Match«, kündigte Paolo Maldini, der Kapitän des AC Mailand, 24 Stunden vor der Begegnung im mit 62 295 Zuschauern ausverkauften Old-Trafford-Stadion von Manchester an. »Dieses Spiel ist eines der wichtigsten in meiner Karriere«, betonte der 34-jährige Innenverteidiger vor Milans 250. Europacup-Spiel.
Als leichter Favorit geht indes die »alte Dame« in das erste Landesmeister-Finale zweier Clubs der Serie A. »Wir haben in dieser Saison schon einen weiten Weg zurückgelegt und sind jetzt bereit, den letzten Schritt zu tun«, gab Trainer Marcello Lippi als Marschrichtung für seine Mannschaft aus. Es sei auch kein psychologischer Nachteil, ausgerechnet im wichtigsten Spiel des Jahres auf den gesperrten Regisseur Pavel Nedved verzichten zu müssen. »Wir sind in der Lage, jeden zu ersetzen«, versicherte der Coach. Auch Alessandro del Piero, im Halbfinale einer der Väter des Erfolges gegen Real Madrid, setzt voll auf Sieg: »Es ist nicht wichtig, dass ich wieder treffe, wichtig ist nur, dass wir gewinnen.«
Milan-Trainer Carlo Ancelotti hat vor der Partie alle Mann an Bord. Lediglich hinter dem seit dem Wochenende leicht angeschlagenen Alessandro Costacurta steht ein kleines Fragezeichen. Sollte der 37-jährige Oldie auf der rechten Abwehrseite ausfallen, steht Dario Simic bereit. Doch davon lässt sich der Coach, der noch keinen Titel mit Milan gewonnen hat, nicht beeindrucken. »Unser Ziel ist es, diesen Pokal nach Mailand mitzunehmen«, sagte Ancelotti und reichte die Favoritenrolle an den Final-Gegner weiter: »Juve hat schließlich im Halbfinale Real Madrid ausgeschaltet.« Auch das Fehlen von Regisseur Pavel Nedved bedeute für die Turiner keine Schwächung: »Ein Spiel hängt nicht von einer Person ab.«
Mit großer Genugtuung reagierten die Italiener unterdessen auf die Berufung von Markus Merk als Schiedsrichter des Finales. »Grandios. Er ist der Garant für ein gutes Spiel«, lobte »La Gazzetta dello Sport« den Unparteiischen aus Kaiserslautern. Auch Merks Amtskollege Pierluigi Collina attestiert dem Zahnarzt aus der Pfalz außergewöhnliches Können: »Er ist die optimale Wahl. Ich habe ihm sofort gratuliert. Er ist nicht nur mein Kollege, sondern auch mein Freund.« Als gutes Omen für einen Finalsieg werten die Juve-Spieler die Nominierung des Deutschen. Denn von vier Champions-League-Spielen unter Merks Leitung gewannen die Turiner drei.
Derweil bringt das Finale im Fußball-verrückten Italien sogar das Sitzungsprogramm des Parlaments durcheinander. Mehr als 130 Abgeordnete und damit etwa ein Drittel der Parlamentsmitglieder werden am Mittwoch schon mittags Feierabend machen und nach Manchester fliegen. 34 Parlamentarier hatten erst unlängst einen Juve-Fanclub ins Leben gerufen.
27.05.2003 dpa