„13 Jahre Umbruch haben abgehärtet“
Seine Äußerungen sorgen für Wirbel
G regor Gysi, Manfred Stolpe und andere prominente Ostdeutsche haben ihre Landsleute gegen Helmut Schmidts Vorwurf der Weinerlichkeit in Schutz genommen. Der für den Aufbau Ost zuständige Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe wies in der „Bild“ vom Montag die Kritik als unberechtigt zurück und lud Schmidt zu Besuchen in Potsdam, Rostock oder Leipzig ein: „Er würde feststellen, dass die Ostdeutschen weniger weinerlich sind als andere Deutsche.“ Das gelte vor allem, wenn es um die anstehenden Reformen gehe. „13 Jahre Umbruch haben abgehärtet“, sagte Stolpe.
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer verwahrte sich gegen die Vorwürfe des Altkanzlers. Der Vorwurf der Weinerlichkeit treffe nur auf einen kleinen Teil zu, sagte der CDU-Politiker. Wenn Schmidt das Rentenniveau im Osten „zum Kotzen findet – ist das sein Problem“.
Der PDS-Politiker Gregor Gysi sagte, er wisse nicht, wie viele jammernde Ost-Rentner Schmidt kenne. „Ich selbst kenne mindestens 20 Leute, die zu den Best- und und Besserverdienenden gehören und trotzdem jeden Tag jammern“, so Gysi. Aus der Einkommenssituation eines Altkanzlers sei vielen nicht nachvollziehbar, was Menschen bedrücke, die auf einer ganz anderen sozialen Ebene ihr Leben organisieren müssten.
Der ostdeutsche Showmaster Gunther Emmerlich sagte, Generalisierungen seien nie seriös. „Im Amt war Helmut Schmidt wirklich besser“, meinte Emmerlich.
Die frühere Eiskunstläuferin Katarina Witt hat sich nach eigenen Worten „tierisch über Helmut Schmidt aufgeregt“. Zurzeit habe es niemand in Deutschland so ganz einfach. Die Ostdeutschen seien genauso belastbar wie Westdeutsche.
Aufschrei nach Schmidts Schelte
Bereits am Wochenende hatten Schmidts harsche Worte über die „Weinerlichkeit“ der Ostdeutschen hohe Wellen geschlagen. Politiker von SPD und Union äußerten sich empört. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sagte der Zeitung „Bild am Sonntag“: „Die Kritik ist völlig unangemessen und verletzend. Besonders die Rentner sind für die Entwicklung der letzten 13 Jahre dankbar.“
Markus Meckel, SPD-Bundestagsabgeordneter und 1990 Außenminister der DDR, sagte: „Helmut Schmidts Äußerung ist eine Verlotterung des politischen Stils, die ich ihm so nicht zugetraut hätte.“ Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (SPD) warf Schmidt vor: „Der Altkanzler überzieht völlig.“
Zustimmung kam dagegen von Peter Ramsauer, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag. „Ein Körnchen Wahrheit ist dabei. Wer einmal das Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen besucht hat, dem vergeht jedes Gejammer“, sagte Ramsauer dem Blatt.
Hintergrund: Schmidt hatte in der „Sächsischen Zeitung“ erklärt: „Es wird über manches geklagt, was nicht beklagenswert ist.“ So seien die Renten im Osten real zum Teil höher als in Westdeutschland. Trotzdem klagten viele über ihre Altersbezüge. „Das finde ich zum Kotzen“, sagte Schmidt.
13.10.03, 10:30 Uhr
http://focus.msn.de/G/GN/gn.htm?snr=125416&streamsnr=7


