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Urlaubs-Entscheidung
Schröder hätte klarere Worte aus Rom erwartet
Der Bundeskanzler muss heute vor allem eins: Häme ertragen können. Auch wenn das Verständnis für die Absage seines Urlaubs in Italien hier zu Lande groß ist, lässt sich prima über das Alternativziel Hannover feixen. Der Regierungssprecher erläuterte inzwischen den ausschlaggebenden Grund für Schröders Entscheidung.
Berlin/Rom - Die Bundesregierung macht die Reaktion der italienischen Führung auf die abfälligen Äußerungen von Staatssekretär Stefano Stefani über deutsche Touristen für die Absage des Italien-Urlaubs von Kanzler Gerhard Schröder erantwortlich. Regierungssprecher Béla Anda sagte der "Frankfurter Rundschau", es habe von Rom keine klare Distanzierung von Stefani gegeben. Deshalb sei irgendwann der Punkt erreicht gewesen, an dem der Kanzler seine persönliche Entscheidung habe treffen müssen.
Die Zeitung zitierte ferner Regierungskreise mit den Worten, Schröder habe seinen Entschluss von Dienstag auf Mittwoch getroffen und ihn anschließend am Morgen zunächst mit seiner Familie besprochen. Bis dahin seien die kritischen Distanzierungen aus Rom zumindest zweifelhaft gewesen.
Auch am Donnerstag hagelte es noch hämische Reaktionen aus der Opposition für Schröders Entscheidung. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos nannte die Absage des Italien-Urlaubs einen "Sturm im Wasserglas". Schröder wolle damit von den wirklichen Problemen Deutschlands ablenken, sagte Glos im Fernsehsender n-tv. Er sprach dem Kanzler Gelassenheit ab. "Schröder fehlt in solchen Dingen manchmal die Lockerheit, die er sonst immer betont, und in dieser Hinsicht ist er durchaus verbesserungsbedürftig." Der Franke Glos meinte, Schröder "bestraft sich ein Stück selber, dass er ausgerechnet in Hannover Urlaub macht, ich kann mir interessantere deutsche Landstriche vorstellen".
Er legte zugleich Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nahe, nun ebenfalls auf den vorgesehenen Italien-Urlaub zu verzichten. Er betonte: "Wenn das Kabinett wirklich zu Schröder hält, dann muss sich Schily ebenfalls bestrafen - und alle Kameraden müssen aus der Toskana wegbleiben."
Auch Scholz verzichtet auf Italien
Auch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hat sich gegen einen Urlaub in Italien entschieden. Eine SPD-Sprecherin bestätigte damit im Kern einen Bericht, den die "Bild"-Zeitung am Freitag zu veröffentlichen plant.
Nach Angaben der Sprecherin habe Scholz eigentlich nach Italien reisen wollen, sich jetzt aber für Frankreich entschieden. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung hatte der SPD-Generalsekretär bereits eine Reise in den Abruzzen gebucht.
Am deutlichsten gegen Schröders Entscheidung sprach sich der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok aus. Mit den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Rom müsse so umgegangen werden, dass kein Schaden für die Beziehungen zwischen den Völkern entsteht. "Ich habe Sorge vor einem Hochpeitschen von Gefühlen, das man dann nicht mehr unter Kontrolle bekommt", sagte der Politiker, der auch Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments ist. Schröders Absage an den geplanten Italien-Urlaub sei unverantwortlich. "Der Kanzler macht sich lächerlich", sagte der CDU-Politiker.
Scharfe Kritik an dem italienischen Staatsekretär Stefano Stefani kam vom italienischen Europaminister Rocco Buttiglione. Er betonte im ZDF-"heute-journal", zwar habe jede Nation eine gewisse Zahl von Verrückten. Er stelle sich aber die Frage, ob der Staatssekretär "nicht eine andere Beschäftigung finden könnte - und nicht mehr in der italienischen Regierung".
Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Entscheidung Schröders eine Schande genannt. "Es tut mir Leid um ihn", fügte er hinzu. Zuvor hatten hochrangige italienische Kabinettsmitglieder, darunter Außenminister Franco Frattini, versucht, mit beschwichtigenden Worten einen Eklat abzuwenden, vor allem, da sich Tourismus-Staatssekretär Stefano Stefani weigerte, sich für seine pauschalen antideutschen Angriffe zu entschuldigen.
Frattini bedauerte die Entscheidung Schröders. Er sagte: "Für mich war der Vorgang eigentlich vor zwei Tagen abgeschlossen. Wie dem auch sei, ich werde weiterhin nach Deutschland fahren."
Regierungssprecher Bela Anda hatte gestern mitgeteilt, die Familie Schröder werde ihren Urlaub "gemeinsam zu Hause in Hannover verbringen".
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Presseschau zu Schröders abgesagter Italienreise
"Eine unselige Entscheidung"
Selten befasste sich die Presse derart mit der Ferienplanung eines Einzelnen. Die Entscheidung des Kanzlers, seinen Italien-Urlaub abzublasen, stößt bei vielen Kommentatoren auf Kritik. Vom deutschen Weg und wiedererwachten nationalistischen Ressentiments ist die Rede. Nur Deutschlands größtes Boulevardblatt hat Verständnis.
Die "Süddeutsche Zeitung" (München) schreibt:
"Sein Besuch und die 'Bild'-Zeitung sind manchmal Gerhard Schröders wirkmächtigste außenpolitische Berater. Dies ist jetzt wieder einmal an des Kanzlers unseliger Entscheidung zu erkennen, seinen Italien-Urlaub abzusagen. Als der italienische Stammtisch-Politiker Stefani öffentlich Dummheiten über deutsche Touristen abließ, glaubte Schröder in einer Weise darauf reagieren zu müssen, dass aus dem Blödsinn fast eine Staatsaffäre geworden ist. Wie man es besser machen kann, hatten die erprobten Italienfahrer Schily und Fischer vorexerziert. Hart mit dem Narren von der Lega Nord ins Gericht gehen, dabei aber nicht so tun als müsse man durch Toskana-Abstinenz die Ehre des deutschen Volkes retten."
In der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" steht:
"Der auch mit deutscher Hilfe, womöglich sogar in kalter Berechnung inszenierte Streit mit dem italienischen Ministerpräsidenten zeigt wieder, was man spätestens seit Schröders hart geführtem Konflikt mit Bush weiß: Dieser Kanzler sieht sich auf einem 'deutschen Weg'. Ohne Rücksicht auf Verluste - aber doch wohl nicht ohne Gewinn. (...) Europa und die Welt werden sich an den Stilwandel der deutschen Außenpolitik gewöhnen - oder auch nicht."
"Der Tagesspiegel" (Berlin) kommentiert:
"Gerhard Schröder hätte nach Italien fahren sollen. Nur ein erholter Kanzler ist ein guter Kanzler. Urlaub in Hannover - was da wohl rauskommt? Im Herbst wollen wir Reformen sehen. Worauf zielt Schröders Urlaubsverweigerung? Sollen Millionen Deutsche es ihm gleich tun und damit Italiens Hoteliers, Pizzabäcker und Eisverkäufer bestrafen? Er betreibt mal wieder seine Art populärer Außeninnenpolitik. Weil ihm die Nase sagt: Dieses Thema geht tief ins Volksempfinden. Er macht sich zum Anwalt der Nachkriegsgenerationen, die sich nicht mehr den Nazihut aufsetzen lassen. Mit vernunftgelenkter Außen- oder Europapolitik hat das wenig zu tun."
Schröders Heimatzeitung, die "Hannoversche Allgemeine Zeitung", meint:
"Angst und bange wird nur dem Europäer in uns, wenn er überlegt, welche diplomatischen Verwicklungen die blöden Äußerungen eines wenig bedeutsamen italienischen Staatssekretärs auslösen können. Wir wussten doch: Die spinnen, die Römer. Dass unser Kanzler die Sprüche irgendeines Staatssekretärs so ernst nimmt, hat uns doch verblüfft. Ob er da nicht überreagiert hat? Vielleicht hatte der Hannoveraner Schröder schlicht keine Lust wegzufahren."
Die "Bild" dagegen ist auf Schröders Seite:
"Ein Signore Stefano Stefani, Mitglied der italienischen Regierung, hat die Deutschen angepöbelt. Ohne Anlass, Grund und Not. Der Kanzler hat reagiert und seinen Italien-Urlaub abgesagt. Ist das jetzt eine 'Staatsaffäre'? Nein. Aber alles hat seine Grenzen. Das wissen die stilsicheren Italiener ganz genau. Kritik ertragen wir gern, beleidigen lassen wir uns nicht. Der Italo-Pöbler Stefani wird zurücktreten. Falls nicht, muss er entlassen werden. Politiker kommen und gehen. Die Völker bleiben. Deutsche und Italiener verbindet eine langjährige herzliche Freundschaft. Kein Mensch südlich oder nördlich der Alpen hat auch nur das geringste Interesse an weiteren «Eskalationen». Freunde in Italien! Amici! Übers Jahr trinken wir wieder ein Glas Wein zusammen. IHR ladet uns dazu ein."
Auch im Ausland stößt der Fall auf reges Interesse. Hier bewerten Kommentatoren die politische Dimension der Schröder'schen Urlaubsplanung teils noch höher. Von einem vergifteten Verhältnis zwischen Deutschland und Italien ist die Rede.
"Il Messaggero" (Rom) schreibt:
"Wenn ihr einen kalten Windstoß spürt, kommt er nicht aus der zu starken Klimaanlage, sondern aus Berlin. (...) Mit der Ankündigung Schröders, auf seine italienischen Ferien zu verzichten, ist der Frost in den Beziehungen zwischen Rom und Berlin zurück gekehrt. Ein Fels legt sich auf den Weg unserer unserer sechsmonatigen EU-Präsidentschaft. (...) Sicherlich lässt die neue Kältewelle zwischen Rom und Berlin keine ruhigen Szenarien vorstellen."
"Der Standard" (Wien) rät dem deutschen Kanzler:
"Schröder sollte souverän und subtil - also undeutsch - den Teufelskreis der künstlichen und berechnenden Empörung durchbrechen, seine moralische Überlegenheit über die Berlusconis dieser Welt zeigen und trotz bereits erfolgter Absage den Urlaub in Italien verbringen. Am besten träfe er sich dort demonstrativ mit Riccardo Illy, dem Hoffnungsträger der Linken Italiens, auf einen Cappuccino. Das wäre eine Einmischung in die italienische Innenpolitik. Aber der Fall Berlusconi zeigt deutlicher denn je, dass es in der EU den hermetisch abgegrenzten Bereich der 'Innenpolitik' nicht mehr gibt."
Der "Guardian" (London) kommentiert:
"Die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien, zwei Hauptakteuren der Europäischen Union, sind auf den tiefsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg gesunken. Das Verhältnis ist auf ganz persönlicher Ebene vergiftet. Nachdem der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Italien-Urlaub abgesagt hatte, tat der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi dies verächtlich ab. (...) Berlusconi sagte nur, es tue ihm leid für ihn (Schröder). Diese Bemerkung wird Schröder zur Weißglut bringen. Der neuerliche Streit zwischen zwei der vier großen Staaten Europas ist ernsthafter als die ursprüngliche Fehde. Dieses Mal hat es Berlusconi mit dem Regierungschef des mächtigsten Landes der Europäischen Union zu tun. Der Erfolg der sechsmonatigen italienischen EU-Präsidentschaft hängt wesentlich vom guten Willen Deutschlands ab. Bei deutschen Wählern, die die italienischen Beleidigungen durchaus persönlich nehmen, wird Schröders Entscheidung gut ankommen."
Die "Financial Times" erkennt eine neue Urlaubspolitik unter Schröder:
"Seit Schröder und seine Kabinettskollegen aus der 'Toskana-Fraktion' 1998 an die Macht kamen, haben sie auch eine neue Urlaubspolitik gemacht: Die einfachen, rustikalen Orte, die der frühere Kanzler Helmut Kohl bevorzugte, haben sie gegen Sonne und Wein eingetauscht. Trotz ihres Rufes, am Strand immer die ersten zu sein, haben die Deutschen solchen Hedonismus nicht immer ganz unkritisch gesehen. Vielleicht ist Hannover deshalb doch gar nicht so unattraktiv für den Kanzler."
Und auch "Der Bund" (Bern) beschäftigt sich mit dem deutsch-italienischen Zerwürfnis:
"Die Verunglimpfungen von Ministerpräsident Berlusconi und Staatssekretär Stefani sind in der Tat lächerlich und die Umfragen nicht wirklich ernst zu nehmen. Aber sie zeigen gleichzeitig, wie wenig es auch nach 50 Jahren Frieden und europäischer Friedenspolitik braucht, um nationalistische Ressentiments wieder zu wecken. Wer hätte das gedacht."
gruß, mick (bekennender alteuropäer)