"So schlimm wie in Paris war es noch nie"
Tränen der Wut und der Enttäuschung: Serena Williams bei der Pressekonferenz nach ihrem Halbfinal-Aus gegen Justine Henin-Hardenne. (Foto: dpa)
Anti-Williams-Stimmung erreicht bei French Open einen neuen Höhepunkt.
PARIS. Auf der Tribüne wetterte Mutter Oracene über "Leute, denen Klasse fehlt und die diesen Sport in den Dreck ziehen". Aus der Ferne schäumte Daddy Richard über einen "handfesten Skandal" und "niederträchtiges Verhalten." Und im großen Interviewsaal des Stade Roland Garros flossen bei Serena Williams, der ausgebuhten, verhöhnten und gestürzten Titelverteidigerin, auch anderthalb Stunden nach dem 2:6, 6:4, 5:7-Halbfinal-Aus gegen die Belgierin Justine Henin-Hardenne noch Tränen der Wut und Enttäuschung.
"Ich würde am liebsten hier sitzen und sagen: Okay, nicht so schlimm", sagte die ebenso kleinlaute wie konsternierte Amerikanerin, "aber das würde nicht stimmen. Es tut sehr weh. Der Schmerz ist groß."
Wie die 33 Spiele währende Grand-Slam-Erfolgsserie der 21-jährigen Branchenführerin zu Ende ging, wie die Hoffnung der jüngeren Williams-Schwester auf den ersten echten Grand Slam (Gewinn aller Major-Turniere in einem Kalenderjahr) seit Steffi Grafs Coup 1988 im roten Sand zu Paris zerstob, wie das kleine Belgien schliesslich nach Kim Clijsters mit Henin-Hardenne auch noch die zweite Finalistin stellte, das erinnerte an das denkwürdige 1999er Finale in Roland Garros zwischen der umjubelten Veteranin Graf und der jungen, ungeliebten Schweizerin Martina Hingis.
"Das hier war wieder wie eine antike Tragödie. Nur war jetzt Justine die Gute und Serena die Böse", fand Altmeisterin Martina Navratilova, "die Fairness ist dabei leider auf der Strecke geblieben."
Besonders im dritten Satz wurde das sportliche schwache Duell zum hitzigen Drama mit mittelschwerem Foulspiel der 16 000 Zuschauer: "Sie haben gejohlt und applaudiert, wenn ich den ersten Aufschlag ins Netz setzte", sagte Williams, "ich wußte gar nicht mehr, wie ich danach den zweiten Aufschlag überhaupt noch ins Feld bringen konnte." Erschüttert über die blanken Aversionen, verspielte die zittrige Dominatorin einen 4:2, 30:0-Vorsprung im letzten Satz und zeigte sich hinterher mehr über das Spießrutenlaufen als über die pure Niederlage entsetzt: "Ich will die Leute unterhalten und ihnen Spaß bringen - und dann passiert so etwas."
Auf die Frage, ob sie psychologische Unterstützung benötige nach dem potenziell traumatischen Fall ins French Open-Aus, sagte die Nummer eins: "Nein, ich brauche keinen Irrenarzt."
Die Schmähungen von Paris passten indes nur allzu gut ins holzschnittartige Bild einer Welt, wie sie sich Richard Williams, der mächtige Familienpatriarch, in seinen Verschwörungstheorien gern zu recht bastelt. Schon seit jeher hält er die erstklassigen Leistungen seiner schlagkräftigen Töchter für "nicht ausreichend gewürdigt": "Das Tennis-Establishment, aber auch viele Spielerinnen und Fans sind gegen uns."
In seinem Schwarz-Weiß-Denken gefangen, schottet der Alte die Schwestern deshalb eisern ab und fordert sie sogar auf, "bloß keine Freundschaften im Circuit zu schließen": "Das würde auch ihrem Tennis nicht gut tun."
Was in Paris passiert sei, "das ist die Story meines Lebens", sagte Serena Williams tränenreich, "Venus und ich und die Familie - wir haben uns immer allein gegen alle anderen durchgeboxt."
Doch dass die beste Spielerin der Welt mehr noch als ihre in Paris ebenfalls ausgebuhte Schwester die Antipathien im Wanderzirkus auf sich zieht, hat auch selbstverschuldete Gründe: Millionenschwere Shopping-Touren abseits der Courts, oft gestelztes Auftreten in den Matches und arrogante Aussagen wie "Ich will eine ganze Saison ungeschlagen bleiben" haben eine explosive Anti-Serena-Stimmung in den Spielerlounges heraufbeschworen.
Dass die Fans nach vier reinen Williams-Endspielen bei den Grand Slams " wieder einmal etwas Neues, Erfrischendes" sehen wollten, sei "doch ganz normal", sagte Chris Evert, die große Amerikanerin der Vergangenheit, "da darf man nicht zu viele Geheimnisse reintragen." Tatsächlich hatten auch schon die australischen Fans zu Jahresbeginn stürmisch Kim Clijsters, die Hewitt-Freundin und "Schwiegertochter der Nation", im Melbourne-Halbfinale gegen Serena vorangepeitscht. "Eigentlich bin ich auch am besten, wenn das ganze Stadion gegen mich ist. Das stachelt mich erst richtig an", sagte Serena Williams, "nur war es noch nie so schlimm wie jetzt in Paris." (NRZ)
06.06.2003 JÖRG ALLMEROTH
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Ich lach mich wech....