FR 2.12.2002
Torhagel mit Trefferflut beantwortet
Lions setzen sich in Hannover mit 6:5 nach Penaltyschießen durch / Nethery in Kabine geschickt
Was für eine wundersame Wandlung der Frankfurt Lions. Noch vor einer Woche hatten sie sich mit zehn Gegentreffern bei nur einem selbst geschossenen Tor zur Lachnummer der Liga gemacht. Sieben Tage später, nach der großen Krisensitzung mit dem Rücktritt von Manager Bernie Johnston, kassierten sie zwar in 120 Minuten auch noch immerhin neun Tore, aber dafür schossen sie elf - soviel wie zusammen in den sieben Spielen zuvor nicht. Nach dem begeisternden 5:4-Sieg gegen Mannheim legten sie am Sonntag ein 6:5 (2:2, 2:1, 1:2) nach Penaltyschießen in Hannover drauf. Lohn der neuen Torflut: Kaum für möglich gehaltene fünf Punkte gegen den Vize-Meister und beim Angstgegner, den Scorpions.
Dabei rannten die Lions in Hannover nahezu bis zum Schluss ständig einem Rückstand hinterher. Schon nach drei Minuten hatte Jakobsson für die Gastgeber die 1:0-Führung erzielt, die jedoch der junge Eric Dylla zwei Minuten später ausglich. In diesem Rhythmus ging es munter weiter. Len Soccio legte wieder vor (9.) bei 5:3-Überzahl, nachdem Lions-Goalie Dominic Roussel dem Hannoveraner Todd Hawkins eine rechte Gerade eingeschenkt hatte. Dylla glich wieder aus (16.). Dann war Todd Simon (24.) für Hannover dran, aber erneut egalisierten die Lions, Pat Lebeau war im Powerplay erfolgreich.
Nun ergriff die neu erwachte Emotionalität der Lions auch ihren Trainer Lance Nethery, normalerweise an der Bande ein Stoiker. Doch über die Vorfälle um den 4:3-Treffer der Scorpions in der 35. Minute echauffierte er sich dermaßen, dass er von Schiedsrichter Wolfgang Hellwig eine Spieldauerdisziplinarstrafe erhielt. Nicht gerade ein Novum im Eishockey, aber doch so selten wie ein Fünfer im Lotto. "Der Referee hat wohl zu viel Fußball gesehen", meinte Nethery mit Querverweis auf die im Fußball zum Alltag gehörende Maßnahme. Doch nach dem Spiel fand er wieder versöhnliche Worte: "Ich mag den Wolfgang Hellwig als Mensch. Und Menschen machen Fehler. Schwamm drüber."
Der Fehler, den Nethery ausgemacht hatte, war die Entscheidung, das 4:3 durch Soccio anzuerkennen. Denn Torhüter Roussel war vor dem Treffer nach Netherys Ansicht von einem Hannoveraner mit dem Arm gecheckt worden und somit außer Gefecht. Trotz Heranziehung des Videobeweises wollte Hellwig diese Meinung nicht teilen. So sah sich der Frankfurter Coach den Rest der Partie im Hallen-TV an und da wollten ihm seine nicht mehr allzuvielen Haare zunächst zu Berge stehen: Todd Simon erhöhte zu Beginn des Schlussabschnitts gar auf 5:3.
Noch vor einer Woche wäre dies eine sichere Niederlage für die Lions gewesen. Doch der Sieg am Freitag gegen Mannheim muss der Lions-Mannschaft Löwenkräfte verliehen haben. Denn kaum 30 Sekunden nach dem Schock schaffte Neu-Kapitän Paul Stanton aus dem Gewühl heraus wieder den Anschlusstreffer, und dann kam der Auftritt jenes Mannes, der sich schon nach vier Spielen bezahlt macht. Pat Lebeau, erst seit acht Tagen in Frankfurt, traf beim 5:5 in der 57. Minute zum vierten Mal im vierten Spiel.
Und die ständige Aufholjagd wurde schließlich auch im Penaltyschießen belohnt: Jackson Penney bescherte seinen Kollegen eine fröhliche Heimfahrt. Doch auch dieses Shoot-out wurde noch einmal zu einem Krimi. Denn in der ersten Fünferserie trafen lediglich Lebeau und Gilbert Dionne für ihr jeweiliges Team, dann scheiterten beide im sechsten Versuch. Dafür traf in Durchgang sieben Penney, während Wally Schreiber für die Scorpions an Dominic Roussel scheiterte.
So verlebte Lance Nethery dann doch noch einen netten TV-Abend und mochte sich auch nicht mehr über den Schiedsrichter und die fünf Gegentore ärgern: "Wenn die Mannschaft daran glaubt, mehr Tore schießen zu können als zu kassieren, ist mir das egal." Für das Nervenkostüm eines Trainers sind solche "Run and Gun"-Spiele allerdings Gift, erst recht, wenn man wie Nethery zuvor zum Beendigen der Krise die Devise ausgegeben hatte: "Wir müssen die Verteidigung stärken, wenn wir wieder gewinnen wollen." Nun ja, auch ein Trainer kann mal irren. kit
Die Statistik: Tore: 1:0 Jakobsson (3:05), 1:1 Dylla (5:08), 2:1 Soccio (8: 01), 2:2 Dylla (15:04), 3:2 Simon (23:27), 3:3 Lebeau (33:08), 4:3 Soccio (34:02), 5:3 Simon (44:45), 5:4 Stanton (55:11), 5:5 Lebeau (56:46), 5:6 Penney (Penalty). - Schiedsrichter: Hellwig (Krefeld). - Zuschauer: 4519. - Strafminuten: Hannover 14 - Frankfurt 12 plus Spieldauerdisziplinar (Nethery).