Hinter den Kulissen
Brad Harrison pflegt die heile Welt der Löwen
Bei den Frankfurt Lions heißt der Zeugwart "Equipment Manager" / Von Marc Heinrich
Bei Sportereignissen ist es der Besucher gewohnt, seinen Platz angewiesen zu bekommen, verköstigt zu werden und die jeweilige Sportstätte in einem angemessenen Zustand vorzufinden. Er beklatscht Erfolge und sieht dabei doch nur die, die im Vordergrund stehen. Doch hinter den Kulissen sind viele für diese Erfolge mitverantwortlich. In einer kleinen Serie wollen wir einige dieser guten Geister aus dem Hintergrund nach vorne holen.
Brad Harrison? Immer dem Duft des Kaffees nach, sagt der Hausmeister. Bevor der taägliche Trubel auf der Eisfläche beginnt, ist es stets das gleiche Ritual, mit dem der "Equipment Manager" der Frankfurt Lions seine Arbeit auftimmt. Er selbst, der von sich sagt, abstinent zu leben, "kein Bier, keine Zigaretten, kein Koffein", brüht allmorgendlich Wasser und löffelweise gemahlene schwarze Bohnen auf, breitet auf einem wackeligen Holztisch Zuckerwürfel, Milchdosen, Tassen und Plätzchen aus. So läßt sich, wenn man ihn in den dunklen Gägen nicht auf Anhieb zu Gesicht bekommt, wenigstens mit Hilfe der Nase erahnen, ob der Kanadier schon eingetroffen ist. "Meine Jungs", wie auch Harrison mit einem vielen Nordamerikanern eigenen Hang zur Herzlichkeit die Spieler nennt, bräuchten die Fürsorge vor dem ersten Training. "So kommen sie auf die Beine."
Der Sechsundzwanzigjährige ist für die Lions seit drei Jahren mehr als ein Zeugwart. 1999 bei einem Trainingscamp in Toronto fanden beide Parteien zueinander. Am Ratsweg, wo sich der Klub häuslich niedergelassen hat, verbringt er seitdem mit den Herrschaften von August bis April einen Großteil des Tages. Immer, im T-Shirt, nicht selten auch im Winter in kurzen Hosen und Sandalen, während bei Temperaturen kurz über dem Gefrierpunkt jeder Besucher den Schal enger wickelt. "Gewöhnungssache", sagt Harrison. Zwischen den Übungseinheiten zieht er sich mit den Spielern, ein Großteil von ihnen zwar in fester Beziehung lebend, aber als Single für die befristete Dienstzeit aus Übersee angereist, in die Katakomben zurück. Darin verbergen sich neben der Umkleide auch eine Sauna, eine Sonnenbank und ein formidabler Reigen an ältlichen Gerätschaften, mit denen sich Kraft und Ausdauer steigern lassen. Der gelernte, Physiotherapeut Harrison hält sie in Schuß, während seine Adjutantin Elfriede Herold als "Mutter der Kompanie", wie sie bei den Lions genannt wird, die Berge aus verschwitzten Trikots, Unterhemden uad langen Unterhosen wäscht. In Harrisons dunklem Reich sieht es nicht aus wie in einem auf Hochglanz polierten Fitneßtempel: Nasse Handtücher hängen über Heizungsrohren; man riecht, wenn man denn Einlaß hinter die mit schwarzer Folie blickdicht ahgeschlossene Eingangstür findet, auch eine Mischung aus Franzbranntwein und kaltem Schweiß, der aus den Matten penetrant aufsteigt; Licht spenden Leuchtstoffröhren, Fenster gibt es keine, durch geöffnete Türen kommt Frischluft.
Harrison, der seit Teenagertagen eine Glatze hat, trägt oft einen Fön in der Hand - ein kurioser Anblick. Mit dem Haartrockner wärmt er Handschuhe, macht das Plastik der klobigen Schlittschuhe geschmei-dig. Handlangerdienste, die den Eis-Löwen das Leben leichter machen. Es heißt, Harrison sei einer der Besten seines Fachs in der Deutschen Eishockey Liga. Selbst aktiv war er nur als Kind auf gefrorenen Teichen in der Heimat, später diente er seinen beiden älteren Brüdern als Caddie. In seinem vier mal fünf Quadratmeter großen Büro geht es zu wie im Magazin einer Bun-deswehrkaserne: Nur, daß er weder Mittags-pause noch geregelten Dienstschluß kennt. Harrison verwaltet an die zweihundert Schläger aus Aluminium, Polarkiefer, Fiberglas oder Karbon. Preis: zwischen fünfzig und einhundertfünfzig Dollar pro Exemplar. Chris Snell ist in dieser Saison sein bester Kunde und macht am meisten Arbeit; bislang hat er vierzig Stück verschlissen. Die Dutzenden Helme, Torwartanzüge, die nach jedem Spiel gereinigt und getrocknet werden müssen, sind beständiger, nehmen in dem Kabuff mit den vielen Regalen aber auch den meisten Platz weg. Müssen die Lions auswärts bestehen, verstaut Harrison den gesamten Plunder im Mannschaftsbus. "Brad ist ein Fachmann", sagt Stürmer Greg Evtushevski, der in zwanzig Profijahren auf zwei Kontinenten viele Helfer hat kommen und gehen sehen. "Für die Lions ist er unverzichtbar."
Mit handwerklichem Geschick an Bohr- und Fräsmaschinen, das jedem Schuhmacher zu Ehren gereichen würde, erfüllt der gelernte Physiotherapeut so manchen Sonderwunsch: Stunden verbringt er damit; die Kufen für Alexander Seliwanow millimeter-genau abzuschleifen. Meterweise Klebeband wickelt er um den Schlägerknauf von Brent Tully. Bevor die Takte von Carl Orffs "Carmina Burana" ertönen, einem Stück, mit dem sich die Fans bei Wunderkerzenlicht auf den ersten Bully einstimmen, schält Harrison für Stewart Malgunas einen Kaugummi aus der Verpackung und hält ihn zum Verzehr bereit - "ein Aberglaube, ohne den es nicht geht". Er selbst steht als Türöffner an der Bande und nennt es "den besten Platz". Andere zahlten siebzig Mark für Haupttribünentickets, "sehen aber auch nicht besser". Der Kanadier kennt die 22 Profis, ihre Eigenheiten, Vorzüge und Laster. Von ihm erfahren würde sie nie jemand. "Schon gar kein Journalist." Er verliert über die Pleitezeit mit Ricki Alexander und Peter Obresa kein Wort; Blair MacDonald "war ein feiner Kerl", und auch "mit Doug Bradley ist es fabelhaft zusammenzuarbeiten". Nach außen pflegt Harri-son die heile Lions-Welt. "Wir sind eine Familie", sagt er. Seine eigene sieht er derzeit nur im Sommer, beim Urlaub in Yoorketown, einem 15000-Seelen-Nest in der kanadischen Provinz Saskatchewan. Die Verlobte Jennifer lädt er ein- bis zweimal jährlich zum Besuch nach Hessen ein. Genau wie er, erzählt Harrison würde sie "Frankfurt lieben", es sei eine "wunderbare Stadt mit Flair". Selbst Handkäs' mit Musik kön-ne er etwas abgewinnen, Apfelsaft gehöre zu seinen bevorzugten Durstlöschern. Gerne würde er seine Freundin öfter zu Gesicht bekommen. Doch reich ist er in Frankfurt bislang nicht geworden, Play-Off-Prämien mußten lange keine ausgzahlt werden. Und Flugtickets sind teuer. Dafür telefoniert er halt öfter mit den Lieben in der Heimat - das Handy baumelt griffbereit am Hosenbund. Auch um jederzeit erreichbar zu sein. Sollte heute der Anruf eines Managers aus der nordamerikanischen Profiliga kommen, säße er morgen im Flugzeug. Über Eldon Reddick, den Keeper, der bei den Winnipeg Jets gespielt hat, erhofft er sich den Kontakt. "In die NHL, da will ich hin", sagt Harrison. "Für diesen Traum lohnt es sich, jeden Morgen aufzustehen."
Quelle: FAZ, 19. Januar 2002
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