Die Wutrede des Willi Reimann
Willi Reimann schlägt verbal zurück. Allen Kritikern erteilte der Trainer der Frankfurter Eintracht gestern eine deftige Abreibung. Vor allem der Verein ist Zielscheibe seines Zorns: "Vor anderthalb Jahren wurde hier alles in die Grütze gefahren - aber diese Leute sind im e.V. noch schön am Werk."
VON FRANK HELLMANN UND JÖRG HANAU
Frankfurt a. M. · 4. November · Zwei freie Tage hatte Willi Reimann verbracht. Hoch im Norden, mit dem Sohn in seiner Lieblingsstadt Hamburg. Zeit sich Gedanken zu machen und am Montag ausgiebig Zeitungen zu lesen. Am Dienstagmorgen ist dann zunächst alles wie immer gewesen: Auf der Baustelle Waldstadion hetzen Arbeiter mit gelben Helmen hin und her, Kräne drehen sich, Betonmischer fahren fußbreit am Trainingsplatz vorbei, wo Willi R. wie immer mit verschränkten Armen an der Außenlinie steht. Als Nico Frommer mit einem Aufschrei zu Boden geht und Du-Ri Cha binnen drei Minuten zwei Tore schießt, zeigt der 53-Jährige keine Regung. Er, ein Trainer-Traditionalist, lässt Assistent Jan Kocian mitspielen; er tut wie immer so, als ginge ihn das Trainingsspielchen nur beiläufig etwas an. Dann pfeift Reimann ab, blinzelt in die Sonne, geht ein paar Schritte, bleibt stehen. Journalisten begehren um Auskunft. Darauf hat Reimann an diesem Tag gewartet.
Er geht verbal von der Verteidigung in den Angriff über - ein Mittel, dessen sich die Seinen auf dem Platz nicht bedienen: "Ich lasse mir nicht alles gefallen." Eine Sauerei seien Vorwürfe, er habe am Samstagabend die Mannschaft in Bremen auf dem Flughafen allein gelassen. "Die hatten Tickets, die hatten was zu essen, wo ist das Problem? Auch ich habe das Recht, private Termine wahrzunehmen."
Mehr noch: "Die üblichen Mechanismen greifen wieder perfekt, die in Frankfurt mehreren Trainern den Job gekostet haben. Wenn der Verein der Einschätzung der Fans folgen und sich für einen anderen Trainer entscheiden will; wenn jemand meint, er kann es besser, dann habe ich kein Problem damit." Nachsatz des begeisterten Golfspielers: "Dann habe ich wieder mehr Zeit."
Hat er Angst um seinen Arbeitsplatz? Lapidare Antwort: "Ich habe Vertrag." Reimann: "Die Statistik zeigt doch, dass in Frankfurt viele Trainer und gewaltige Gelder verbraten worden sind." Nun riecht er den Braten, der aus der limitierten Ballkunst seiner Spieler entsteht. Er ist in diesem Geschäft zu gewieft, um nicht die Automatismen zu kennen. "Ich brauche keine Rückendeckung. In Köln, in Hamburg hatten sie alle Rückendeckung - was hat's gebracht? Ich decke meinen Rücken selbst." Er weiß, dass ihn die Vorstandsmitglieder Heiko Beeck und Thomas Pröckl (noch) stützen, die Vereinsgremien ihn aber lieber heute als morgen stürzen würden. "Ich weiß, wo meine Pappenheimer sitzen." Reimann sieht sie im Verein: Präsident Peter Fischer, die Vizepräsidenten Axel Hellmann und Klaus Lötzbeier.
Einmal in Rage, nimmt Reimann kein Blatt vor den Mund: "Hier wurde vor anderthalb Jahren alles in die Grütze gefahren. Aber diese Leute sind im e.V. noch schön am Werk." Weitere Breitseite gegenüber dem Präsidenten: "Der war damals im Wald und hat für die Regionalliga geplant. Ich habe mit meinen Leuten für die Lizenz in der zweiten Liga gekämpft." Der Graben ist abgrundtief. Ob er mit Fischer geredet habe? Reimann: "In anderthalb Jahren einen Satz: ,Guten Tag und auf Wiedersehen!'"
Auf derlei verbale Provokationen reagiert Fischer unaufgeregt, beinahe schon aufreizend gelassen. "Wenn ich diesen Ball aufnehme, würde daraus ein Ping-Pong-Effekt entstehen", sagt der Eintracht-Präsident der FR. Dies könne ganz unzweifelhaft nicht im Sinne des Vereins sein. Fischer wählt seine Worte mit Bedacht, was er wirklich denkt, behält er vorerst aber für sich: "Diese Dinge werde ich, wie es meine Art ist, nicht öffentlich diskutieren. Wenn es Gesprächsbedarf gibt, wird dies intern geschehen."
Der Verein ist von der Eintracht Frankfurt Fußball AG abgekoppelt, aber - ganz wichtig - Hauptgesellschafter. Der eine kann mit dem anderen nicht, aber der eine auch nicht ohne den anderen. Ein konfuses Konstrukt. Selbst Alexander Schur ist es mittlerweile leid. Der Kapitän sagt der FR: "Die Suche nach dem Schuldigen endet wieder in einem Hauen und Stechen. Da tritt offen die Spaltung zwischen Verein und AG zutage. Das ist kontraproduktiv und damit kommt man nicht weiter. Letztes Jahr haben wir uns alle an einen Tisch gesetzt. Da hatten wir aber Volker Sparmann als Kopf." Jener Mann soll nun wieder einen Posten im Aufsichtsrat erhalten. Dem Gremium steht der Eintracht-Trainer bei der nächsten Sitzung am 11. November Rede und Antwort. Die Räte wollen ein sportliches Konzept vorgelegt bekommen. Reimanns verbale Attacken haben bereits am Dienstagnachmittag für Zündstoff im AG-Vorstand gesorgt.
Des Trainers Generalabrechnung mit seinen Kritikern, Schelte für Journalisten, Schimpf und Schande über den Verein wirken wie geplant. Er spricht besonnen, aber leidenschaftlich. "Kritisieren, schimpfen, beleidigen: Das kann jeder." Nein, er ließe sich nicht vor einen Karren spannen, vor den er nicht gehöre. Denn er leiste ehrliche Arbeit seit Amtsantritt vor anderthalb Jahren.
Wie beurteilt die Mannschaft, die intern nicht mehr bedingungslos hinter Taktik und Tonart des Trainers steht, den neuesten Machtkampf? Schur ist missmutig ob des Streits: "Ich bin so lange dabei und lege nicht mehr jede Aussage auf die Goldwaage. Aber ich bin das Chaos leid. Mannschaft und Club bringt das kein Stück weiter - im Gegenteil."
Wie wichtig wäre es, dass der Trainer bleibt? Schur: "Wichtig wäre, dass wir Ruhe haben." Nachfrage: Wie wichtig ist Reimann? Schur: "Wichtig ist Ruhe." In dem Moment taucht der Trainer hinter Schurs Rücken auf, steigt in sein Auto und fährt wortlos davon.
Notstand auch in personeller Sache
Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Zu sportlichen und strukturellen Problemen kommen vor dem Heimspiel gegen den VfB Stuttgart (Samstag 15.30 Uhr) noch personelle Nöte hinzu: Mittelfeldspieler Chris hat einen Muskelfaserriss erlitten.
VON FRANK HELLMANN
Frankfurt a. M. · 4. November · Anzeichen gab es im Spiel keine: Chris, der talentierte Allrounder, spielte am Samstag im Bremer Weserstadion volle anderthalb Stunden mit. Dieser Tage kann er jedoch nicht einmal das Training bei der Frankfurter Eintracht mitmachen. Noch in der Bundesliga-Partie in Bremen zog sich der Brasilianer einen zunächst nicht erkannten Muskelfaserriss im hinteren Oberschenkel zu: Einsatz im nächsten Heimspiel gegen den VfB Stuttgart (Samstag, 15.30 Uhr) äußerst ungewiss.
"Das ist ein Rückschlag", sagt Trainer Willi Reimann, der schließlich über diverse Ausfälle klagt: Jurica Puljiz absolvierte ebenso nur Lauftraining wie Uwe Bindewald, den nach Finger- und Zehenbruch noch Schmerzen plagen. "Er will die aber am Samstag tolerieren", sagt der Trainer. Fraglich, ob Andreas Möller sich stark genug fühlt: Gestern war nach seiner Magen-Darm-Erkrankung jedenfalls nur ein kurzer Waldlauf mit Jermaine Jones möglich.Während Möller wenigstens schmerzfrei lief, spürte Jones erneut Beschwerden im lädierten linken Fuß. "Ich merke ständig etwas beim Auftreten." Der 22-Jährige ist ob seiner Leidensgeschichte frustriert: "Vielleicht muss die Platte, die sich noch im Fuß befindet, eher herausgenommen werden." Die Entzündung, hervorgerufen durch eine Verstauchung, ist jedenfalls noch nicht abgeklungen.
Reimann, den gestern weniger die personellen Befindlichkeiten der Profis als die Ränkespiele bestimmter Personen im Verein beschäftigten, ließ wieder Nico Frommer und Du-Ri Cha gemeinsam stürmen. Dass der dritte Torwart Andreas Menger bei den Einheiten fehlte, hat einfache Gründe. "Ich habe ihm frei gegeben, damit er seinen Trainerschein in Köln machen kann", erklärt Reimann. Bekanntermaßen steht der 31-jährige Menger als Torwart-Trainer in den Startlöchern, wartet aber noch auf eine Botschaft des Vorstandes.
Gute Signale kamen gestern von der Baustelle: Weil der Oberrang auf der Gegengeraden sich zügig schließt, passen gegen die Schwaben 27 000 Zuschauer ins Waldstadion. Im oberen Bereich der Kurve sind 2000 zusätzliche Plätze freigegeben. Läuft es weiter wie bisher, kann die Frankfurter Eintracht für das erste Rückrunden-Spiel am 31. Januar 2004 gegen den FC Bayern immerhin schon 38 000 Tickets verkaufen.
C-Gam
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